Gleichberechtigung bei Jugendlichen

Fakten
Gründe für Widerspruch zwischen Theorie und Praxis
Gleichberechtigung bei Jugendlichen
Die Kehrseite der Medaille
Zwischen Kopf und Bauch

Grundgesetz Artikel 3:
"Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
Niemand darf wegen seines Geschlechts (...) benachteiligt oder bevorzugt werden."

Ein paar Fakten ohne Kommentar:

  • Berufstätige Frauen wenden zusätzlich 40 bis 60 Stunden wöchentlich für Hausarbeit auf.
  • Bei ca. 75% der berufstätigen Paaren ist die Frau allein für Putzen und Kochen zuständig.
  • Weibliche Angestellte erzielen durchschnittlich nur 73% des Einkommens ihrer männlichen Kollegen.
  • Der Frauenanteil bei den mittleren Führungspositionen liegt bei ca. 10%, bei den höheren bei knapp 3%.
  • Der Anteil der weiblichen Abgeordneten in den Parlamenten liegt im Durchschnitt bei etwa 25%.
  • Die Ämter des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten wurden noch nie von einer Frau bekleidet.

    Wieso klafft eine derartig große Lücke zwischen Theorie und Praxis?

    Geschichte

    Die Errungenschaften der Gleichberechtigung in Deutschland, das Wahlrecht für Frauen seit 1918 (in der Schweiz erst seit 1971!) und das Gleichberechtigungsgesetz von 1957, sind im Vergleich zur "nicht gleichberechtigten" Zeit davor noch verhältnismäßig jung. Immerhin war für die Generation unserer Großeltern die alte Rollenverteilung noch selbstverständlich und sie hat ihre Erfahrungen an die nächste weitergetragen und diese zumindest in Bruchstücken an die nächste und so weiter. Bis also die letzten Spuren des alten Macho-Denkens aus den Köpfen der Menschen verschwunden sind, wird es wohl noch eine ganze Weile dauern, wenn überhaupt...

    Begriff Gleichberechtigung

    Geht man allein nach der Bedeutung des Begriffes Gleichberechtigung als die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau aus, dann hat man sie mit dem obigen Grundgesetzartikel und mehreren anderen Gesetzen bis zum zweiten Gleichberechtigungsgesetz von 1994 eigentlich schon erreicht.
    Dass wir aber in Wirklichkeit noch weit davon entfernt sind, zeigen die Diskussionen um Frauenquoten, nach denen bestimmte Parteiämter von Frauen besetzt werden "müssen", oder die Tatsache, dass man sogenannte Gleichstellungsstellen einrichten muss, um die Rechte der Frauen auch tatsächlich durchsetzen zu können, und selbst dann nicht immer...

    Begriff Emanzipation

    Mit dem Begriff der Emanzipation, der untrennbar mit dem der Gleichberechtigung verbunden ist, kommen wir dem eigentlichen Problem schon deutlich näher. Emanzipation bedeutet die Befreiung aus einem rechtlichen, politischen und sozialen Abhängigkeitsverhältnis.
    Okay, rechtlich und politisch sind wir durchaus befreit, sozial sieht das Ganze allerdings noch etwas anders aus (Näheres siehe unten!). So finden sich in den Köpfen der Gesellschaft, und zwar nicht nur in den männlichen, noch viele unemanzipierte Ansichten. Nicht umsonst werden Mädchen und Frauen, die sich für ihre Gleichberechtigung stark machen, abfällig als "blöde Emanze mit Haaren auf den Zähnen" bezeichnet, und das sogar von ihren Geschlechtsgenossinnen...

    Rollenzuweisung in der Erziehung

    Mit der Geburt geht die Ungleichbehandlung häufig oft schon los, die sich in der Erziehung dann leider unbeirrt fortsetzt. Oftmals unbeabsichtigt und sämtlichen guten Vorsätzen der Eltern zum Trotz.
    "Hurra, ein Junge!" jubelt der Vater, erleichtert darüber, dass er dem hirnrissigen Brauch in vielen ländlichen Gegenden, die Straßen zu einem Haus mit einem neugeborenen Mädchen mit Blechdosen ("Büchsenmacher"...) zu pflastern, nochmals entronnen ist.
    Ein strammer Junge, ein niedliches Mädchen nimmt die alte Rollenzuweisung ihren Lauf. Während die Jungen ihre Durchsetzungsfähigkeit in Streitereien und ihren Mut in waghalsigen Spielen trainieren sollen, lernen die Mädchen bald, dass sie besonders viel Lob ernten, wenn sie sich still und artig benehmen und besonders hübsch daher-kommen. Natürlich gibt es moderne Eltern, die ihre Töchter mit Autos und ihre Söhne mit Puppen spielen lassen. Wenn sich aber ihr Junior für ihren Geschmack zu viel mit den Mädchenspielsachen abgibt, finden sie das auch nicht toll und machen sich so ihre Sorgen...

    Gleichberechtigung, ein Thema für Jugendliche?

    Gut, gegen den Einfluss von außen durch die Eltern und andere Erwachsene seid ihr ziemlich machtlos. Wie sieht es aber mit der Gleichberechtigung bei euch aus, wenn ihr alt genug seid, eure Entscheidungen selbst zu treffen und euch nicht mehr aus der Verantwortung stehlen könnt?
    Schaut euch doch mal die folgenden Beispiele an und vergleicht sie mit eurem eigenen Verhalten. Wenn du vollkommen ehrlich bist, kannst du dich wahrscheinlich an die eigene Nase packen, oder?

    Schule

    Bei der Klassensprecherwahl hat der Lehrer noch dafür gesorgt, dass mit Tina und Rolf beide Geschlechter zum Zuge kommen, wie viele seiner Kollegen wohl auch, denn bei der Wahl zum Schülersprecher sind die Anteile der weiblichen und männlichen Klassensprecher nahezu gleich groß. Zu Schülersprechern gewählt werden dann jedoch Jörg, Daniel und Matthias. Diese haben die Stimmen der Jungen bekommen, weil diese kein Mädchen haben wollten. Und die Stimmen der Mädchen, weil diese den Erfolg einer Konkurrentin nicht gegönnt haben bzw. es nicht geschafft haben, sämtliche Stimmen auf ein Mädchen zu bündeln oder aber heimlich für die männlichen Kandidaten schwärmen...
    Wenn es darum geht, sich auf bestimmte Unterrichtsfächer zu spezialisieren, versuchen sich die Jungen vor allem in Mathematik und den naturwissenschaftliche Fächern, wohingegen die Mädchen genau vor diesen Fächern flüchten, und zwar ausgerechnet noch in Sprachen und künstlerische Fächer, also genau jene, die später in der Berufswelt deutlich weniger gefragt sind...
    Wer hat in eurer Klasse das Sagen, sind die unumstrittenen Wortführer und Meinungsmacher, wenn es um die Bewertung von Lehrern/Mitschülern, Klamotten, Musik oder das Festlegen von Ausflugszielen oder Klassenfeten geht?
    Erwischt?

    Berufswahl

    Die Mädchen im 19. Jahrhundert konnten noch kein Abitur machen (ab1893) und gerade mal zwischen den Berufen Gesellschafterin, Kindermädchen, Krankenschwester oder Lehrerin wählen (wenn sie nicht in der Landwirtschaft oder Fabrik arbeiteten), für die letzten beiden mussten sie unverheiratet sein.
    Obwohl die Mädchen heutzutage im Vergleich zu den Jungen die höheren Schulabschlüsse und die besseren Noten erzielen, nutzen sie ihre besseren Startbedingungen im Berufsleben oft nicht aus. Nach wie vor zählen "dienende" Berufe wie Verkäuferin, Krankenschwester oder Erzieherin zu den bevorzugten Berufswünschen. Noch immer sind weibliche Tischler, Kfz-Mechaniker oder Ingenieure die große Ausnahme und noch immer verzichten viele Mädchen auf ein langjähriges Studium, weil sie glauben, es würde sich nicht "rentieren", da sie ohnehin einmal Familie haben wollten...

    Partnerschaft

    Natürlich wollen wir gleichberechtigt sein, behaupten Sabrina, Heike und Nadine voller Entrüstung, was soll diese blöde Frage!
    Und dennoch wartet Sabrina bereits seit vier Wochen sehnsüchtig darauf, dass ihr Schwarm Fabian sie anspricht, weil sie sich nicht traut. Und dennoch geht Heike wie selbstverständlich davon aus, dass ihr Freund Stefan beim Eisessen für sie beide zahlt. Und dennoch lässt sich Nadine bei jeder gemeinsamen Unternehmung mit ihrem Schatz Timo von ihm zu Hause abholen anstatt einmal bei ihm vorbeizukommen.
    Sie schreien zwar laut nach Gleichberechtigung, aber erachten es gleichzeitig als selbstverständlich, sich bedienen, verwöhnen, herumchauffieren usw. zu lassen....
    Die Jungens sind da übrigens keinen Deut besser. So ist ihnen ein Mädchen, das ein starkes Selbstbewusstsein zeigt, indem es sie anspricht oder im Bett die führende Rolle übernimmt und konkrete Wünsche anmeldet, oftmals nicht recht geheuer. Sie wünschen sich lieber ein hübsches Mädchen an ihrer Seite, das sie bewundert und sich ihnen anpasst. Ob da wohl ein bisschen Angst im Spiel ist, Angst, ihre gewohnte Macht zu verlieren?

    Familie

  • Nele und Leon haben müssen sich daheim bestimmte Pflichten teilen. Nele hat sich fürs Abtrocknen und Staubsaugen entschieden, Leon für das Rasenmähen und Getränkeholen...
  • Mutter und Pauline möchten die neue Arztserie im Fernsehen anschauen, Vater und Peter das Fußballländerspiel. Die Herren schauen live, die Arztserie wird aufgezeichnet...
  • Die Zwillinge Laura und Lukas haben ihren Führerschein bestanden, beide mit sensationell wenig Fahrstunden. Nichts Besonderes, denkt sich Laura, Jungens sind eben geschickter. Kein Wunder, denkt sich der in seiner Eitelkeit getroffene Lukas beleidigt, bei dem kurzen Minirock war das klar, schließlich ist der Prüfer auch nur ein Mann...

    Freizeit

    Claudia und Tobias wollen ihr Taschengeld aufbessern. Claudia macht Babysitter und führt Hunde aus, Tobias wäscht Autos und streicht Gartenzäune...
    Tanja und Silke verbringen ihre Nachmittage abwechselnd bei Stylingversuchen vor dem Spiegel, in Kleidergeschäften und vor dem Fernseher. Markus und sein Kumpel Alexander hingegen beschäftigen sich mit Fußballspielen, ihren Fahrrädern (reparieren inclusive) und dem Computer...
    Natürlich habe ich bei den Beispielen extra übertrieben. Aber ein Körnchen Wahrheit dürften sie dennoch enthalten, oder?

    Die Kehrseite der Medaille

    Bund und soziales Jahr

    Würde man den Gedanken der Gleichberechtigung konsequent durchziehen, dann ist es eigentlich überhaupt nicht einzusehen, dass man den Jungen fast ein Jahr ihres Lebens "klaut", während die Mädchen ungeschoren davonkommen. Bund bzw. Zivildienst für die Jungen, verbindliches Soziales Jahr für die Mädchen.
    Wäre doch nur gerecht, oder?

    Sprache

    Einige unermüdliche Kämpferinnen setzen sich für die Gleichberechtigung in der Sprache ein und haben bereits einen ersten Erfolg errungen. So ist die diskriminierende Bezeichnung "Fräulein" heute beinahe gänzlich verschwunden und die Wetter-Tiefs haben seit wenigen Monaten nicht automatisch mehr weibliche Namen, sondern jährlich wechselnd männliche und weibliche Namen. Inwieweit die totale Gleichstellung im Sprachgebrauch verwirklicht werden soll, ist teilweise auch Geschmackssache. Ob frau sich wohl an Begriffe wie jederfrau, Krankenbruder, Aupair-Junge oder Putzmann gewöhnen kann?

    Diskriminierung von Männern

    Die gibt es tatsächlich! Und ausgerechnet die Frauen sind es auch noch, die in ihren "Fachgebieten" kein gutes Haar an den gutgemeinten Versuchen der Männer lassen, die lautstark eingeforderte Gleichberechtigung in die Tat umzusetzen. Hat ein Mann/Junge tatsächlich mal den Mumm, sich in aller Öffentlichkeit an "Frauenarbeiten" zu versuchen, wird er dafür mit ungerechtfertigter Kritik bestraft. Kein Wunder, dass er mit dem plärrenden Kleinkind nicht fertig wird, kein Wunder, dass ihm das Fleisch angebrannt ist, kein Wunder, dass er beim Einkaufen die doppelte Zeit braucht, schließlich ist er ein Mann. Das haben die Männer nun aber wirklich nicht verdient...

    Mögliche Schwierigkeiten

    Gleichberechtigung für Alle in allen Lebensbereichen hat die logische Folge, dass auch die Anforderungen an jeden Einzelnen steigen. Frauen sollen Autos reparieren und Werkzeuge bedienen können, Männer sämtliche Hausarbeiten und Kinderpflege-Tätigkeiten beherrschen. Das Ganze natürlich zusätzlich zu ihren "typischen" Aufgaben und ohne über die Bemühungen des anderen Geschlechts im eigenen Fachbereich zu lästern. Tausendsassas in sämtlichen Rollen sein. Ziemlich anstrengend. Überhaupt wünschenswert?

    Der Kopf sagt ja, aber der Bauch...

    Wir kennen die Theorie, haben aber mit der Praxis so unsere Schwierigkeiten. Auch ich empfinde beim Thema Gleichberechtigung eine gewisse innere Zerrissenheit. Natürlich möchte ich als Frau genauso viel Geld verdienen wie ein Mann. Aber ich bin froh, dass ich nicht zum Bund muss. Ich fände es klasse, wenn wir mal eine weibliche Bundeskanzlerin hätten, aber als Kindermädchen wäre mir eine Frau doch lieber. Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Was sich sagen will: vom Verstand her mögen wir viele Dinge einsehen und bestätigen, doch ein Grummeln in der Magengegend verrät uns regelmäßig, dass wir gefühlsmäßig wohl doch noch nicht so weit sind, wie wir es uns einbilden...
    Wie dem auch sei, Gleichberechtigung um jeden Preis möchte ich nicht. Mir würde schon reichen, dass sich dieser tägliche Geschlechterkampf in Arbeit und Privatleben nicht in haarspaltenden Details (jederfrau, tausche eine Stunde Bügeln gegen exakt 60 Minuten Gartenarbeit usw.) verbeißt, sondern sich auf wesentliche Punkte (flexiblere Arbeitszeiten, weniger Vorurteile) konzentriert. Miteinander statt gegeneinander zu arbeiten, bringt nämlich allen Beteiligten mehr.
    Was ist daran nur so schlimm, wenn ich als Frau bei einer gemeinsamen Fete die Salate mache, dafür aber keine Getränkekisten und Tische schleppen bzw. mich mit der Elektrik herumärgern muss?

    © 2000 Anja Gerstberger, Bilder: © Corel Gallery Magic, verwendet in Lizenz