Neid
– das gelbe Gefühl
Bei
einem sommerlichen Schwimmbadbesuch beobachtete ich einmal das
muntere Treiben der vergnügten Kleinen am Kinderbecken. Dabei
stachen mir zwei kleine Buben, vielleicht zwei Jahre alt, ins
Auge, die zufälligerweise genau mit dem gleichen Wasserrad
spielten mit dem einzigen Unterschied, dass das eine rot und
das andere blau war. Auf einmal blickte der Bub mit dem roten
auf das blaue seines Nachbarn und nahm es ihm weg. Der
Beraubte erhob ein wütendes Gebrüll und zwei besorgte Mütter
eilten herbei.
Ich
habe mich damals gefragt, was in dem Kopf des kleinen
Streithahns wohl vorgegangen sein mag, dass er gerade das
fremde Spielzeug haben wollte, wo seines doch genauso schön
war.
Doch
die Vernunft hat keine Chance mehr, wenn der Neid sein Gift
verspritzt.
Und
das wird mit zunehmenden Jahren auch nicht besser, im
Gegenteil, dieses dunkle Gefühl wird immer öfter seinen
Stachel in unser empfindliches Fleisch treiben!
Daher
lohnt es sich durchaus, einmal über dieses Gefühl, seine
Entstehungsgründe und den richtigen Umgang mit ihm
nachzudenken.
Was
ist Neid?
Neid
und Eifersucht werden oft miteinander verwechselt, obwohl es
zwei unterschiedliche Gefühle sind.
Eifersucht,
auch die „dunkle Schwester der Liebe“ genannt, beschränkt sich
auf eben jenes Gefühl der Liebe in der Partnerschaft bzw.
anderen engen Beziehungen. Wir sind eifersüchtig auf jemanden,
der uns die geliebte Person (Freund, Eltern...) streitig
macht.
Neid
hingegen ist viel umfassender und bezieht sich sowohl auf
materielle Dinge (der andere hat die schöneren oder teureren
Klamotten) als auch auf immaterielle Gegebenheiten (der andere
hat einen Partner und ich nicht) und interessanterweise auch
auf Personen, mit denen wir gar nichts zu tun haben (du
beneidest in der Fußgängerzone ein fremdes Mädchen um ihre
tolle Figur).
Neid
zählt zu den dunklen Gefühlen wie Ekel, Hass oder Rache,
weswegen wir nicht gerne darüber reden, geschweige denn ihn
überhaupt zugeben. Neid ist nämlich ein Gefühl, auf das wir
nicht gerade stolz sind, also breiten wir liebend gerne den
Mantel des Schweigens darüber.
Ist
Neid normal?
Keine
Sorge, neidische Menschen sind keine Bösewichte oder Monster!
Neidgefühle kennt jeder, nur sind sie bei dem einen eben
schwächer, bei dem anderen halt etwas stärker ausgeprägt. Bei
dem Rest unserer Gefühlspalette (Freude, Ärger, Wut,
Geborgenheit...) verhält es sich genauso. Außerdem ändern sich
die Gefühle auch im Laufe eines Lebens, das ständige Auf und
Ab macht das Dasein ja auch irgendwie erst interessant, oder?
Was
ist typisch für den Neid?
Er
bezieht sich nur auf das Sichtbare.
Du
bist neidisch auf das coole Mountainbike deines Kumpels. Wie
er unter seinem strengen Vater leidet, siehst du nicht. Deine
Mitschülerin ist schlank und ausstaffiert wie ein Model. Dass
sie magersüchtig und einsam ist, siehst du nicht. Dein
Mitschüler fährt in den Ferien mit seinen wohlhabenden Eltern
in die Karibik. Den Rest des Jahres sieht er die Haushälterin
und den Gärtner öfters als seine Familie.
Vielleicht
übertriebene Beispiele, aber ich glaube, du hast verstanden...
Er
wächst und steigert sich.
Am
Anfang waren das Wasserrad (siehe oben) und die Bauklötze, es
folgen die Klamotten, das Fahrrad und der Computer, danach das
Aussehen, die guten Noten und der stolz präsentierte Partner
und findet seinen vorläufigen Höhepunkt auf dem ersten
Klassentreffen mit „mein Auto“, „mein Haus“, „mein Boot“, wie
uns der bekannte Werbespot vorhersagt. Und er hat Recht! Neid
wächst und wächst ohne Ende...
Und
reduziert sogar die geliebte Familie auf eine Trophäe! Welch
attraktiver Mann! Und so süße Kinder! Und so oberflächlich....
Er
ist ein Zeichen von Maßlosigkeit.
Mein
Freund hat geile Inliner. Die will ich auch! Wenn ich sie aber
habe, bin ich immer noch nicht zufrieden. Dann will ich die
irre Musikanlage, dann das scharfe Moped, dann das größere
Haus... Egal wieviel man hat, man will immer noch mehr.
Traurig, aber leider wahr. Warum sollte ich mit dem zufrieden
sein, was ich habe, wenn ich noch mehr kriegen könnte? Und die
Spirale der Gier dreht sich weiter...
Hast
du genug Persönlichkeit, auszusteigen?
Er
schaut nur nach oben.
Wir
nehmen nur die Menschen wahr, die es anscheinend besser
getroffen haben als wir. Dass es eigentlich auch viele (wenn
wir ehrlich sind, ist es sogar die Mehrheit!) gibt, denen es
schlechter geht als uns, ja, die neidisch auf uns sind, wollen
wir uns nicht eingestehen. Solange es Leute gibt, die vom
Kuchen mehr abbekommen als wir, sind wir auch noch nicht satt!
Vorsicht, so entstehen Zivilisationskrankheiten wie
Übergewicht, bildlich gesprochen, meine damit Stress,
Depressionen, Süchte, Leere...
Er
hat die verkehrte Brille auf.
Wir
schauen durch die falsche Brille und bekommen prompt verzerrte
Bilder geliefert. Mein Mitmensch hat mehr Besitz, die tollere
Figur oder den attraktiveren Partner und muss deshalb ja
glücklich und zufrieden sein. Vorsicht vor diesem Trugschluss!
An dem Spruch „Geld allein macht nicht glücklich“ ist durchaus
etwas dran! Macht Kohle glücklich, wenn man mit Angst vor
Diebstahl oder ständig abwesenden, da schuftenden Eltern dafür
bezahlt? Was nützt der knackige Körper, der auf Kosten der
Lebensfreude geht (Diät, Training, Verzicht...)? Unser Neid
sucht den Schlüssel zum Glück bei den anderen, jedoch selten
an der richtigen Stelle! Glück liegt woanders!
Woher
kommt der Neid?
Neid
entsteht
durch
einen scheinbaren Mangel
Wie
in der Werbung. Meine Mitmenschen wecken Bedürfnisse bei mir,
von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie habe. Denn bisher
hatte ich nichts vermisst. Ich konnte gut ohne Handy leben,
bis mein Kumpel mit einem aufgetaucht ist. Und unser
Campingurlaub in Italien war auch in Ordnung, bis meine
Freundin in die Südsee flog.
Überlege,
ob du dich wirklich auf diesen hirnlosen Wettkampf einlassen
willst!
durch
Vergleich
Mein
Zeugnis war passabel und ich war stolz auf meine Leistung.
Doch im Vergleich zu dem Notenschnitt meines Bruders war ich
nur Mittelmaß. Mein Spiegelbild gibt mir grünes Licht und sagt
„Wow!“. Doch meine Sicherheit schwindet, wenn ich die
größeren, schlankeren, bewunderten Mädchen sehe. Plötzlich bin
ich ganz klein. Eben noch zufrieden mit mir und schon wieder
neidisch auf andere. Lass das Vergleichen sein, denn so kommst
du nie auf einen grünen Zweig!
Was
interessiert mich schließlich der Superaufschlag meines
erfahrenen Vereinskameraden, wenn ich bis vor kurzem noch
keinen einzigen Ball über das Netz gebracht habe?
durch
Unzufriedenheit
Seien
wir doch mal ehrlich. Im Grunde genommen macht uns der Neid
nur darauf aufmerksam, dass wir von unserem Leben, so wie es
derzeit ist, nicht begeistert sind.
Unzufriedenheit
mit der eigenen Situation lässt uns neidisch auf andere
schielen. Vielleicht sind wir ja gar nicht neidisch auf die
Ballettkünste der Freundin, sondern nur darauf, dass sie (im
Gegensatz zu uns) ein Hobby gefunden hat, das sie mit
Begeisterung ausübt und ausfüllt? Gönnen wir dem Freund den
nach hartem Training sehr wohl verdienten Sporttriumph
wirklich nicht oder sind wir nur verärgert über die eigene
Faulheit?
Erwischt?
Gut, dann weist du ja jetzt, wo du künftig ansetzen musst!
durch
mangelndes Selbstbewusstsein
Neid
entsteht meist, weil unsere Selbstsicherheit zu schwach ist.
Ich bin nicht so schick angezogen wie meine Freundin, habe
dafür aber tolle Locken und ein hübsches Gesicht! Ich bin
nicht so ein grandioser Sportler wie mein Kumpel, aber dafür
eine beliebte Stimmungskanone! Mein Zeugnisdurchschnitt ist
zwar drei Zehntel schlechter als der meiner Freundin, dafür
habe ich es ohne Nachhilfe geschafft!
Kapiert?
Wie
gehe ich am besten mit meinen Neidgefühlen um?
Akzeptiere
deine Neidgefühle!
Tu
nicht so, als ob du nie neidisch wärest! Neid ist normal und
okay und kann positiv genutzt werden (siehe unten!)! Wer Neid
zugibt, befindet sich bereits auf dem Weg der Besserung!
Wechsle
deine Denkschablonen aus!
Statt
„ich möchte auch so toll aussehen“ heisst es ab heute „ich
esse weniger Schokolade und gehe regelmäßig zum Aerobic!“.
Statt „mit diesem scharfen Gefährt kriegt er jede rum!“ sagst
du dir „Ich werde die Mädchen mit meinem Humor und Charme um
den Finger wickeln!“. Ausprobieren, es wirkt!
Übe
deine Kritikfähigkeit!
Betrachte
die Kehrseite der Medaille! Eine Familie mit viel Knete hat
meist weniger Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Erfolgreiche
Eltern üben wahrscheinlich einen größeren Leistungsdruck auf
ihre Kinder aus. Mehr Möglichkeiten (Klavier, Reiten, Tennis,
Zeichenunterricht, Sprachkurse usw) geboten zu bekommen
bedeutet gleichzeitig auch mehr Stress zu haben! Weniger kann
auch mehr sein...
Nimm
den Neid als Ansporn!
Lass
den Neid positive Energien bei dir freisetzen. Du wirst
staunen, welch beeindruckende Leistungen du vollbringen
kannst, wenn du ein bestimmtes Vorbild bzw. Ziel vor Augen
hast! Der Betreffende muss ja nicht wissen, dass du ihm
nacheiferst...
Besinne
dich auf deine eigene Situation!
Vergiss
nie, dass du selbst eine einzigartige Persönlichkeit mit
besonderen Fähigkeiten bist! Du bist vielleicht weniger
sportlich, aber dafür extrem musikalisch oder außergewöhnlich
kreativ! Statt über Sprachbegabung verfügst du über ein
ausgeprägtes technisches Verständnis usw.
Wetten,
dass andere auch auf dich neidisch sind? Warum wohl?
Spüre
dein Glück auf!
Neid
belegt unser Streben nach dem großen Glück. Und versperrt uns
nicht selten den Blick auf das kleine, das schon längst
vorhanden ist! Wo? Na, die Freude der Eltern über den
Mathedreier, ihr Stolz über deine Selbstständigkeit, die
Spielestunden mit den Geschwistern, der selbstgebackene Kuchen
der Mutter, das erlaubte Haustier...
Glaub
mir, wer suchet, der findet!
Ein
kleines Versprechen...
Wenn
du die obigen Tipps beherzigst, wird sich automatisch auch
deine Ausstrahlung ändern. Du wirkst dann nämlich wesentlich
optimistischer und ausgeglichener und damit plötzlich viel
interessanter und begehrenswerter...
Kann
gut sein, dass sich das ersehnte Glück bald von alleine
einstellt!
Die
besten Sprüche zum Thema
„Neid
ist die ehrlichste Form der Bewunderung.“ (Wolfgang Mocke)
„Neid
ist meist eine Nummer größer als der Fleiß.“ (Peter Weck)
„Die
Neider sterben wohl, doch nimmermehr der Neid!“ (Molière)
„Neid
ist eine Krankheit, bei der die Magensäure den Platz des
Hirnwassers einnimmt.“ (Jörg Mosch)
„Beneide
niemanden, denn du weißt nicht, ob der Beneidete im stillen
nicht etwas verbirgt, was du bei einem Tausch nicht übernehmen
möchtest!“ (August Strindberg)
"Beneiden
heißt Unterlegenheit bekennen." (Claire Francoise Lespinasse)
"Neid
ist Ärger über den Mangel an Gelegenheit zur Schadenfreude."
(unbekannt)
"Ein
freier Mensch ist nicht neidisch." (Hegel)
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