Im Partnerlook

"Ich kann nicht mehr!", seufzte Anke und ließ sich erschöpft auf die nächstbeste Sitzgelegenheit plumpsen.

Sie befand sich zusammen mit Kathrin, ihrer besten Freundin, auf Schnäppchenjagd im Winterschlussverkauf. Die riesige Begeisterung, mit der sich die beiden Mädchen anfangs ins hektische Getümmel gestürzt hatten, war inzwischen einer nicht minder großen Müdigkeit gewichen. Kein Wunder, denn schließlich waren sie mittlerweile seit mehr als drei Stunden pausenlos durch die Geschäfte gehetzt und hatten dabei die eine oder andere beeindruckende Beute erlegt. Und jetzt waren sie am Ende ihrer Kräfte, so dass an eine Fortsetzung ihres Kaufmarathons nicht zu denken war, es sei denn nach einer entsprechenden Stärkung in Form einer Pause mit Imbiss. Anke war sogar dermaßen ermattet, dass sie sich einfach auf das Podest neben ihr mitten in die kunstvoll drapierten Seidenblusen gesetzt hatte.

"Steh wieder auf!", drängelte Kathrin und blickte sich ängstlich um, weil sie keinen Ärger mit einer erbosten Verkäuferin haben wollte. Und den würden sie garantiert kriegen, wenn Anke weiterhin die teuren Seidenträume mit ihrem frechen Hinterteil in eine Knitterlandschaft verwandeln würde. Die eine Verkäuferin da hinten warf ihnen bereits einen bösen Blick zu und setzte sich auch schon in Bewegung. In Marschrichtung der noch ahnungslosen Übeltäterin Anke.

"Nur noch in die Sportabteilung, dann ist Schluss, okay?" Ohne Ankes Antwort erst abzuwarten, zerrte Kathrin ihre Freundin ungeduldig am Ärmel hoch und verschwand mit ihr möglichst schnell Richtung Rolltreppe. Glück gehabt, die Furie war abgehängt!

"Wow, da gibt es voll die coolen Mützen!", rief Anke wenige Minuten später am Wühltisch mit der reduzierten Wintersportware aus und kehrte seinen Inhalt systematisch von unten nach oben, auf der Suche nach dem ultimativ lässigen Teil. Plötzlich waren die bisherigen Strapazen ebenso vergessen wie die Sehnsucht nach einer längeren Pause in einem gemütlichen Café. Das verlockende Angebot hatte Ankes Lebensgeister ebenso wieder wecken können wie ihren Jagdinstinkt und Kathrin erging es angesichts der bunten Pracht vor ihnen nicht anders.

"Schau dir mal dieses Teil an, das ist genau die Mütze, von der ich dir erzählt habe! Ich bin ein Glückspilz!", jubelte Kathrin und hielt Anke dabei eine quietschbunt geringelte Zipfelmütze unter die Nase, die wie selbst gestrickt aussah. Kathrin hatte diese Mütze schon vor Wochen entdeckt und ihr Herz an dieses verrückte Stück verloren, es jedoch nicht gekauft, weil ihr damals der Preis von 80 DM doch zu hoch gewesen war. Aber jetzt, für 30 DM gab es keine Diskussion mehr, die musste die Mütze unbedingt haben!

"Also mir wäre sie zu schrill und ein Tick zu lang!", meinte Anke skeptisch, nachdem sie das gute Stück einer kritischen Prüfung unterzogen hatte.

Kathrin lachte über diese treffende Beschreibung. Die Mütze war wirklich ziemlich lang, denn sie reichte ihr aufgesetzt noch bis in die Taille, und ihre Regenbogenfarben konnte man sicherlich nicht als zurückhaltend bezeichnen. Aber was soll`s? Ihr gefiel sie nun mal und sie wollte sie haben. Nicht um jeden Preis, aber um den ermäßigten auf jeden Fall!


"Muss das sein?", stöhnte Anke und blickte gequält zu Kathrin neben sich, die das neue Stück noch im Laden aufgesetzt und zu Ankes Leidwesen aufbehalten hatte und nun stolz wie eine Trophäe spazieren trug. Anke fand es nicht besonders komisch, dass Kathrins auffällige Kopfbedeckung die Aufmerksamkeit vieler Passanten auf die beiden Mädchen lockte und nicht wenige belustigt grinsen ließ.

"Stell dich doch nicht so an!", entgegnete Kathrin ungerührt und versetzte ihrer Freundin einen liebevollen Schubs in die Seite, bevor sie sich fröhlich bei ihr unterhakte. "Gleich bist du ja erlöst, nur noch wenige Meter bis zum rettenden Hafen!"

Der rettende Hafen war das Café Bauer, wo sich die beiden Mädchen in der kommenden Stunde über vier heiße Kakaos, zwei Stück Sachertorte, einen Apfelstrudel und eine Nussecke her machten.

Was glotzte der Typ da drüben sie nur so blöde an? Hatte sie vielleicht einen Tupfen Sahne auf der Nase? Ein prüfender Blick in das nächste Schaufenster sagte Kathrin, dass dem nicht so war.

Sie befand sich nach dem anstrengenden, aber auch erfolgreichen und unterhaltsamen Nachmittag mit Anke auf dem Nachhauseweg, die bunte Zipfelmütze auf dem Kopf, in jeder Hand eine Einkaufstüte. Rechts eine neue Skihose, links ein braunes Paar Winterstiefel. Ihre schwarzen hatte sie an.

Mensch, der Kerl lief ihr ja nach, stellte Kathrin erschrocken fest. Was wollte der bloß von ihr? Eigentlich sah er ja recht sympathisch aus, doch die Tatsache, dass er sie verfolgte, kehrte diesen ersten angenehmen Eindruck ins Gegenteil um. Nervös wechselte Kathrin auf die andere Straßenseite. Verdammt, der Typ setzte ebenfalls über! Als Kathrin daraufhin ihren Schritt beschleunigte, konnte sie jedoch den Abstand zwischen sich und ihrem unliebsamen Verfolger nicht vergrößern, denn dieser legte auch einen Zahn zu und nicht nur das, er zog sein Tempo dermaßen an, dass er ihr sogar Stück für Stück näher kam. Unaufhaltsam. Nur eine Frage der Zeit, wann er sie endgültig eingeholt haben würde.

Langsam wurde es Kathrin mulmig zumute. Beunruhigt blickte sie die Straße entlang, auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit oder einer Person, die ihr helfen könnte. Endlich, da vorne konnte Kathrin eine Frau mit einem Hund erkennen, die würde sie einfach ansprechen! Oh nein! Da hielt ein Auto neben ihr und sie stieg ein! Verzweifelt musste Kathrin nun erkennen, dass sie völlig auf sich alleine gestellt war, und die Schritte hinter ihr kamen immer näher!

Völlig entnervt drehte sie sich um und blickte ihrem verdutzten Verfolger zornig ins Gesicht. "Was soll der Scheiß? Warum rennst du mir schon die ganze Zeit nach?"

"Entschuldigung, ich wollte dich wirklich nicht erschrecken!", bedauerte der etwa gleichaltrige Junge. Seine zerknirschte Miene überzeugte Kathrin, dass er es ehrlich meinte.

"Aber warum, um Himmels willen, läufst du mir nach? Das tust du doch, oder?", hakte Kathrin nach, bereits deutlich weniger wütend. Was unter anderem daran lag, dass der Typ vor ihr unglaublich schöne grüne Augen hatte und auch sonst nicht übel aussah. Wer weiß, wenn sie sieh unter anderen Umständen begegnet wären...

"Es ist, weil..." ,der Junge stockte und kaute ebenso verlegen wie unschlüssig auf seiner Unterlippe herum, gerade so, als ob er sich nicht trauen würde mit dem, was ihm auf der Zunge brannte, heraus zu rücken. Plötzlich holte er tief Luft und stieß hastig hervor: "Ich glaube, du hast meine Mütze!"

"Ich habe was?!?", rief Kathrin entgeistert aus.

"Meine Mütze. Du hast meine Mütze auf. Meine Ex-Freundin hat sie mir gestrickt, aber ich habe sie vor einigen Tagen im Bus liegen lassen. Anscheinend hast du sie gefunden." Es folgte eine unangenehme Pause, bevor er drucksend seine in Kathrins Augen unglaubliche Forderung heraus brachte: "Jetzt kannst du sie mir ja wieder geben. Ist ja nicht schlimm, dass du sie nicht im Fundbüro abgegeben hast!" Da er selbst seine letzte Bemerkung überaus großzügig fand, wunderte er sich über den folgenden Wutausbruch der vermeintlichen Täterin.

"Du spinnst ja!", fauchte Kathrin erbost und schlug seine ausgestreckte Hand rüde beiseite. "Die habe ich vor zwei Stunden gekauft, hier ist der Kassenzettel!" Triumphierend hielt sie dem unverschämten Typen den Beleg unter die Nase.

"Ich hätte schwören können, dass es meine ist, sie sieht ganz genauso aus, tut mir leid!", entschuldigte sich der Junge kleinlaut bei Kathrin für seine ungerechtfertigte Unterstellung.

"Wahrscheinlich hat deine Freundin die Mütze im gleichen Laden gekauft und für selbst gestrickt ausgegeben, weil sie dir imponieren wollte", vermutete Kathrin.

"Meine Ex", verbesserte er. "Zuzutrauen wäre es ihr ja!"

"Hast du schon mal bei dem Busunternehmen nach gefragt?", erkundigte sich Kathrin. "Wenn nicht, zwei Straßen weiter ist die Vertretung, ein Versuch wäre es auf jeden Fall wert."

"Kommst du mit?" Ein bittender Blick, dem Kathrin nur all zu gerne nach kam.

"Klar, das interessiert mich jetzt schon, ob du dort fündig wirst."

"Wir müssen ein Bild für die Götter abgeben, so im Partnerlook!", lachte Kathrin zehn Minuten später, nachdem Thomas, wie sie inzwischen wusste, mit seiner Mütze auf dem Kopf aus dem Gebäude des Busunternehmens kam.

"Also, rein äußerlich geben wir schon mal ein tolles Paar ab!", entgegnete Thomas und lief zu Kathrins Entzücken rot an.

"Und der Rest lässt sich ja noch heraus finden, nicht wahr?", erwiderte Kathrin mutig und wurde umgehend für ihren Mut belohnt.

"Womit wir so bald wie möglich anfangen sollten!", meinte Thomas.

"Hast du am Freitag Abend schon was vor?"

© 2000 Anja Gerstberger