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"Ich pack´s nicht!", rief Jakob begeistert aus, "jetzt hat es sogar Mister Unnahbar persönlich erwischt! Ist ja nicht zu fassen!"

Mister Unnahbar, im richtigen Leben besser unter dem bürgerlichen Namen Achim Berthold bekannt, versetzte seinem feixenden Kumpel einen leichten Fausthieb in die Seite und lächelte ihn verlegen an.

"Und wer ist die Glückliche?", wollte Jakob nun wissen. "Wer ist diese Traumfrau, die den ewigen Eisblock endlich zum Schmelzen gebracht hat?"

Achim hatte trotz seiner mittlerweile stolzen 17 Jahre noch nie eine Freundin gehabt, obwohl es ihm an Verehrerinnen wahrlich nicht mangelte. Er sah gut aus, war sportlich und sehr nett, vielleicht einen Tick zu brav und schüchtern. Aber letztendlich lag es einfach nur daran, wusste Achim selber wohl am besten, dass ihm bisher einfach noch kein Mädchen so richtig gut gefallen hat und der berühmte Funken übergesprungen ist. Bis vergangenen Sonntag, als ihn beim alljährlichen Grillfest des Sportvereins aus heiterem Himmel Amors Pfeil getroffen hatte. Er wunderte sich noch immer über diesen unerwarteten Gefühlsschwall, denn besagtes Mädchen kannte er bereits seit etlichen Jahren. Und plötzlich hat es Wumm! gemacht...

"Das kann ich dir nicht sagen", druckste Achim herum. "Wirklich nicht. Gib mir lieber einen Tipp, wie ich sie erobern kann." Sein flehentlicher Blick mäßigte Jakobs Kommentar. "Erobern", betonte er das altmodische Wort und grinste. "Erobern kannst du Frauen am besten mit einer Riesenportion Romantik und Kitsch. Darauf stehen die Mädels, das kannste mir glauben!"

Und Achim glaubte ihm aufs Wort! Wie hätte Jakob sonst seine Freundinnen im Monats- oder - in besseren Fällen - Quartalsrhythmus wechseln können? Die Mädchen lagen ihm regelrecht zu Füßen, er musste also tatsächlich die entsprecheden Tricks auf Lager haben.

"Schreib ihr einen Brief!", schlug Casanova-Jakob nun vor. "Mit gefühlvollen Bildern und Versen. So nach dem Motto Rose meines Herzens. Da wird jede schwach!"

"Das kann ich nicht", erwiderte Achim zerknirscht. "Mit dem Formulieren habe ich es nicht so. Da kommt nur Murks raus.

"Ist doch kindereasy!", prahlte Jakob. "Das würde ich dir mit links machen!"

"Okay, dann beweis es auch!", nagelte Achim seinen Freund sofort fest. "Bis morgen möchte ich einen solchen Brief von dir haben!"

"Klar, das ist doch eine meiner leichtesten Übungen!" Jakob bemühte isch, möglichst überzeugend zu klingen. "Dazu brauche ich aber den Namen deiner Angebeteten!"

"Nix da", schüttelte Achim den Kopf, "ich schreibe deine Vorlage sowieso nochmal ab!"

Nur wenige Stunden später kaute Jakob nachdenklich an seinem Bleistift und merkte, dass die vorgegebene leichte Übung in Wirklichkeit ein äußerst anstrengendes Unterfangen war, das einem Möchtergern-Libesbriefschreiber zur Verzweiflung treiben konnte. Seit einer geschlagenen Stunde mühte er sich mit dem Werk ab - bisher hatte er noch jedes Versprechen gegenüber seinem besten freund Achim gehalten und er gedachte das auch in diesem schwierigen Falle zu tun -, aber was er bisher zu Papier gebracht hatte, war ziemlicher Müll gewesen. Da hatte er den Mund wohl etwas zu voll genommen! Wie kam er nur wieder aus dieser vertrackten Geschichte raus?

Eva!

Klar, Eva war die Lösung!

Seine Schwester war eine regelrechte Deutschgröße und verfügte über enormes Sprachtalent. Nicht umsonst arbeitete sie in der Schülerzeitungsredaktion mit und hatte seit der ersten klasse ausnahmslos Einsen für ihre Aufsätze erhalten. Wenn jemand einen tollen Liebesbrief schreiben konnte, dann sie!

Wenn er ihr als Gegenleistung zwei Wochend-Chauffeurdienste versprach, würde sie sich bestimmt breit schlagen lassen. Seit Jakob den Führerschein hatte und den Wagen seiner Mutter mitbenutzen durfte, hatte er für diverse Gefälligkeiten seiner um zwei Jahre jüngeren Schwester ein unwiderstehliches Bestechungsmittel in der Hand. Damit würde er sie garantiert herum kriegen! Und Jakobs Rechnung ging auf.

"Willst du mir nicht verraten, für wen der Brief bestimmt ist?", versuchte Eva erneut, die geheimnisvolle Empfängerin ihres sprachlichen Kunstwerkes in Erfahrung zu bringen.

"Du wirst sie zu gegebener Zeit kennenlernen!", versprach Jakob und riss ihr ungeduldig den Zettel aus der Hand.

Gespannt las er, was seine Schwester in beeindruckend kurzer Zeit zu Papier gebarcht hatte. Nachdem Jakob seine Lektüre beendet hatte, pfiff er anerkennend durch die Zähne. "Nicht schlecht! Allein die Anrede Hallo kleiner Sonnenstrahl! kommt voll gut. Auch der Rest trifft ins Herz, ohne dass du dabei zu dick aufgetragen hast. Super. Danke!" Ein seltener Bruderkuss auf die Wange einer verdutzten Eva und weg war er.

Drei Tage später bekam Eva mit der Post einen Brief ohne Absender. Exklusiver Umschlag, gefüttert, sowie teures Büttenpapier. Eine jugendliche Handschrift, stilvoll mit schwarzem Füller. Neugierig faltete Eva den Bogen auseinander und begann zu lesen. Doch bereits bei der Anrede erstarrte sie. Hallo kleiner Sonnenstrahl! lachte ihr da frech ins Gesicht. Die nächsten Sätze konnte sie fast noch wortwörtlich aufsagen. Schließlich hatte sie sich diese blumigen Formulierungen selber ausgedacht. Das war ihr Brief! Genau die gleichen Worte! Was sollte der Blödsinn?

Oh, nein, ihr Bruder würde doch nicht...! Oder doch?

"Du hast den Brief gar nicht für dich gebraucht, stimmt´s?", schrie sie Jakob wütend an, nachdem sie ohne Vorwarnung seine Zimmertür aufgerissen hatte. "Hast du wenigsten ordentlich dafür kassiert?" Wie ein Racheengel stand sie vor ihrem völlig verdutzten Bruder, der nicht wusste, wie ihm geschah. "Das ist wirklich mies! Mich dermaßen auszunutzen!" Wumm krachte die Tür ins Schloss. Zwei Minuten später fand sie ein verunsicherter und nachdenklicher Jakob auf dem Bett liegend, mit unbewegter Miene die Decke anstarrend.

"Du glaubst doch nicht etwa, dass ich deinen Brief zu Geld gemacht habe?"

"Ach nein?", höhnte Eva, ohne den vermeintlichen Übeltäter eines Blickes zu würdigen. "Dann sag mir bitte, für wen der Brief bestimmt war, wenn nicht für dich!"

"Das geht nicht." Jakob schaute unglücklich drein. Er wollte weder seinen Freund verraten, noch seine Schwester in dem Irrglauben lassen, ausgenutzt worden zu sein.

"Und warum nicht?", hakte Eva unerbittlich nach.

"Weil ich demjenigen gesagt habe, dass ich den Brief selber geschrieben habe", rückte Jakob kleinlaut mit der Sprache heraus.

"Du hast was?!?", fragte Eva entgeistert.

"Ich habe deinen Brief als meinen verkauft. - Natürlich nicht wörtlich!", versicherte Jakob.

In diesem Moment klingelte es an der Haustür und Jakob ging in die Diele, um den Türöffner zu betätigen. Als Eva auf die Stimmen lauschte und den Besuch als Achim identifizierte, fiel es ihr wie Schuppen vor die Augen.

Klar, wem, wenn nicht seinem besten Freund, war Jakob zu absoluter Treue verpflichtet?

Na warte, jetzt war sie an der Reihe!

"Hallo!", rief Eva mit übertriebener Fröhlichkeit, als sie sich wenige Augenblicke später zu Jakob und Achim ins Wohnzimmer gesellte und mit spitzbübischem Grinsen genau zwischen die beiden auf das Sofa quetschte.

"Hei, was soll der Blödsinn?", knurrte ihr Bruder und blickte seine Schester fast genauso verärgert an, wie sie es noch kurz zuvor bei ihm getan hatte.

"Bist du dir wirklich sicher, dass Achim dich sehen will und nicht seinen kleinen Sonnenstrahl?"

Das war wirklich ein Bild für die Götter! Achim mit feuerrotem Kopf und Jakob mit zunächst von verständnislosem, dann erkennenden und zuletzt ungläubigem Gesichtsausdruck!

Und wäre in diesem Moment ein hochsensiblen Mikrofon im Raum gewesen, dann hätte man Jakobs Groschen fallen und die Herzen der beiden anderen vor Aufregung laut klopfen hören können...

© 2000 Anja Gerstberger, Bilder: Copyright Corel Draw und MacMillan Inc., verwendet in Lizenz