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Das Tennistalent
"Haben wir etwa einen neuen Tennistrainer, Frau Schneider?", erkundigte sich Heike bei ihrer Doppelpartnerin.
Die beiden standen am Zaun und schauten den Junioren bei ihrem Verbandsspiel gegen den Nachbarverein zu. Heike, um ihren jüngeren Bruder Armin anzufeuern, während Frau Schneider ihrem Sohn Fabian die Dauemen drückte. Als Heike beim Seitenwechsel den Blick über die Anlage hatte schweifen lassen, war ihr auf Platz 4 ein gut aussehender junger Mann aufgefallen, der die Bambini, die Jüngsten des Vereins, spielerisch an den weißen Sport heranzuführen versuchte.
"Du meinst den bei unseren Zwergen dort drüben, stimmt´s?", fragte Frau Schneider und fuhr fort, ohne eine Bestätigung von Heike abzuwarten. "Das ist Stefan Baumann, der Neffe unseres Vorstands. Er verdient sich hier ein paar Mark extra für sein Informatikstudium dazu."
"Gibt er auch Einzelstunden?", wollte Heike wissen, denn sie hatte da eine Idee, wie sie den verdammt attraktiven Burschen näher kennen lernen könnte.
"Ja, allerdings nur die Anfänger", entgegnete Frau Schneider. "Die Fortgeschrittenen will Karl schon selber behalten. Schließlich soll er ihn ja nur entlasten, aber nicht um sein Einkommen bringen!" Karl war der langjährige Vollzeittrainer des Clubs.
Schade, dachte Heike für sich, und an einer Einzelstunde bei dem Mittfünfziger Karl war sie aus verständlichen Gründen nicht interessiert.
"Du bist ja verrückt!", meinte ihre Freundin Marion, als ihr Heike am nächsten Tag erklärte, sie wolle sich für den Anfängerunterricht bei dem "süßesten Trainer der Welt" anmelden. "Das wird der doch sofort merken, dass du schon längst eine hervorragende Tennisspielerin bist!". Das stimmte. Heike hatte bereits mit acht Jahren mit dem Tennis angefangen und war jetzt, im Alter von 17 eine erfahrene Stammspielerin der ersten Damenmannschaft.
"Pah! Wie sollte er?", wischte Heike Marions Bedenken beiseite. "Er kennt mich ja nicht und ich werde für Montagnachmittag buchen, da ist auf der Anlage sowieso nichts los."
"Das funktioniert nie...", prophezeite Marion und sie sollte Recht behalten, auch wenn zunächst alles nach Heikes Plan zu verlaufen schien.
"Hallo, ich bin die Heike und möchte von dir in das Geheimnis der gelben Filzkugel eingeführt werden!", stellte sich Heike am folgenden Montag bei ihrem ahnungslosen Trainer vor.
Um einen möglichst bleibenden Eindruck auf das Objekt ihrer Begierde zu machen, hatte sie heute sogar das hautenge Tenniskleid angezogen, das sie sonst eher mied, weil es keine Tasche für Bälle hatte und man an ihm auch keine spezielle Ballklammer befestigen konnte. Aber heute war ein besonderer Tag und sie wollte besonders verführerisch aussehen. Was sie in dem engen Kleid auch tat, wie ihr das eigene Spiegelbild in der Umkleidekabine bestätigt hatte. Darum das Kleid und der komplizierte Französische Zopf anstelle des gewohnten Pferdeschwanzes. Darum die neuen Bommelsocken und farblich passenden Schweißbänder. Und icht zuletzt ein Hauch ihres Sommerduftes.
"Hallo, ich heiße Stefan." Ein kurzer Händedruck, nach Heikes Empfinden viel zu kurz. "Dann wollen wir mal loslegen. Als erstes zeige ich idr den richtigen Griff."
Heike packte ihren Schläger aus und hielt ihn so falsch wie möglich fest.
"Für einen Anfängerschläger sehen Griffband und Rahmen aber schon ziemlich ramponiert aus!", meinte Stefan. Heike erschrak. Mist! Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. Doch Stefan tat ihr den Gefallen und lieferte ihr unbeabsichtigt die passende Erklärung. "Hast du den geliehen oder gebraucht gekauft?"
"Geliehen", stieß Heike eine Spur zu hastig hervor. "Von einer Bekannten."
Während der nächsten halben Stunde zeigte ihr Stefan Vor- und Rückhandgriff sowie die entsprechende Schlagbewegung und spielte Heike, die an der T-Linie stand die Bälle zu, die sie dann über das Netz zurückspieln sollte. Um überzeugend zu wirken schoss Heike die Filzkugeln entweder weit aus dem Feld hinaus oder versenkte sie im Netz. Langsam begann sie unruhig zu werden, denn ihre Taktik schein nicht aufgehen zu wollen.
"Ich glaube so wird das nichts", unterbrach Stefan dann endlich ihr jämmerliche Gebolze und kam auf Heikes Seite. "Das muss isch dir nochmals ausführlich zeigen."
Na endlich, jubelte Heike leise, hat ja lange genug gedauert. Sie wusste, was jetzt kommen würde, schließlich war es ja auch genau das, was sie haben wollte.
"Wie machen das jetzt gemeinsam.", kündigte Stefan zu Heikes Begeisterung an. "Schön langsam und so lange, bis dir die Schlagbewegungen in Fleisch und Blut übergegangen sind." Sprach´s, stellte sich hinter Heike und legte seine Hand auf ihre, um gemeinsam die richtige Schlagbewegung auszuüben.
Der enge Körperkontakt gefiel Heike so gut, dass sie sich noch ungeschickter als bisher anstellte, so dass sich Stefan schon zu fragen begann, womit er so eine unbegabte Schülerin verdient hatte. Andererseits würde das viele, viele Trainerstunden bedeuten, was gar nicht mal so schlecht wäre. Erstens würde das Geld in seine ständig leere Kasse bringen und zweitens würde er sie regelmäßig wiedersehen. Denn eines musste er Heike bei all ihrem mangelnden Talent lassen: Sie war ein verdammt hübsches Mädchen!
"Ich habe übrigens gestern dein Tennismäuschen gesehen!", verkündete Karsten seinem Kumpel Stefan, als er ihn zur Vorlesung abholte. "Wie eine Anfängerin spielt sie ja nicht gerade!"
Nach Stefans überaus begeisterter Beschreibung seiner neuesten Schülerin hatte er es sich nicht verkneifen können, ihn das nächste Mal von der Trainerstunde abzuholen, um die junge Dame in Augenschein nehmen zu können. Und er musste Stefan Recht geben, das Mädel war wirklich ein auffallend hübsches Ding. Umso erstaunter war er dann, als er gestern Heike in einem feurigen Einzel über den Platz düsen und gekonnt auf die Bälle dreschen sah.
"Wie meinst du das?", wollte Stefan wissen.
"Nun ich habe deine Heike gestern mit Frau Schneider spielen sehen und ich muss sagen, sie hat schon eine tolle Rückhand drauf." Karstens Anerkennung war echt.
"Heike?!?", widersprach Stefan heftig. "Heike hat mit der Rückhand bisher drei Bälle über das Netz gebracht. Höchstens!"
"Aber gestern hat sie wie die Kugeln wie eine Ballmaschine gespielt." Karsten fragte sich inzwischen, ob es tatsächlich so eine gute Idee gewesen war, Stefan von seiner interessanten Beobachtung zu erzählen. Darum versuchte er nun einzulenken. "Kann aber auch sein, dass ich sie mit einem anderen Mädchen verwechselt habe."
Stefan schwieg. Er kaufte Karsten den letzten Satz nicht ab. Heike war einfach unverwechselbar. Wenn er sie als talentierte Spielerin gesehen hatte, dann hatter er es auch. Warum spielte sie dann vor ihm die Anfängerin?
Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Und nur einen Augenblick später hatte er eine super Idee, wie er Heike die nächste Lektion erteilen würde...
"So, heute machen wir Grundlagentraining!", kündigte Stefan zu Beginn der nächsten Stunde an.
"Grundlagentraining?", fragte Heike verwundert, die sich bereits auf die bevorstehende "enge Zusammenarbeit" mit Stefan bei der Rückhand gefreut hatte. "Was soll denn das sein?"
"Das wirst du gleich sehen", entgegnete Stefan und beglückte Heike mit dem strahlendsten Lächeln, das er aufbieten konnte. Dass sein Lächeln eindeutig der genugtuenden bzw. schadenfrohen und weniger der anbalzenden Art zuzurechnen war, erkannte Heike während der nächsten Minuten, als sie Stefan in einem extremen Konditionstraining erbarmunslos über den Platz scheuchte.
Nach einer endlos erscheinenden viertel Stunde siegte Heikes Erschöpfung über ihren Stolz und sie wankte keuchend zum Netz. "Was soll der Blödsinn?", schimpfte sie verärgert. "Mit Tennis hat diese elende Schinderei ja wohl kaum was zu tun, oder?"
"Natürlich!", erwiderte Stefan mit Unschuldsmiene. "Je besser man die Technik beherrscht, umso wichtiger ist die Kondition!"
"Aber ich bin doch Anfängerin!", empörte sich Heike. "Da kannst du doch nicht..." Sie brach ab, als sie Stefans erhobenen Zeigefinger und sein Nicken Richtung Zaun sah, wo sie zu ihrem Entsetzen einen grinsenden Karsten stehen sah und in ihn jenen jungen Mann wiedererkannte, der bei ihrem Match mit Frau Schneider fast eine halbe Stunde lang zugesehen hatte.
Oh nein, Stefan hatte ihr Spiel durchschaut. Am liebsten wäre Heike jetzt in der Versenkung verschwunden, aber das ging natürlich nicht. Sie musste wohl oder übel durch die peinliche Situation durch.
"Ich wollte doch nur...", fing sie unbeholfen an.
"Ich weiß, was du wolltest", unterbrach sie Stefan und blickte ihr direkt in die Augen. "Das hättest du auch umsonst haben können!"
Heike glaubte ihren Ohren nicht zu trauen.
"Lust auf ein heißes Match?"
"Du solltest dich lieber warm anziehen!", flachste Heike und marschierte mit Schläger und Bällen Richtung Grundlinie. "Mein Trainer hat mir nämlich´ne Menge beigebracht."
Was Stefan während der nächsten Stunde deutlich zu spüren bekam...
© 1999 Anja Gerstberger, Bild: © Corel Gallery Draw, verwendet in Lizenz
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