Ampel-Paare Begriffserklärung Sie können nicht miteinander und
nicht ohne einander. So genannte Ampel-Beziehungen sind von einem ständigen Wechsel
von Grün auf Rot mit vorgeschaltete Gelbphase gekennzeichnet. Grün wie die Hoffnung und das prächtige Liebespflänzchen. Als
Sandra und Thomas sich vor drei Jahren auf einer
Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Freundes kennen gelernt
haben, haben die Leute um sie herum vor dem Pärchen selber
gemerkt, dass da gefühlsmäßig etwas keimt. Der Spross wuchs
schnell und gedieh prächtig. Zwei verliebte Turteltauben, die
ihre Emotionen voll auslebten. Hemmungslose Knutscherei in aller
Öffentlichkeit, nicht selten hart an der Grenze guten
Geschmacks. Ein glückliches Paar. Bis die erste Gelbphase kam. In Form
eines heftigen Streites, der die Lunte zum späteren Rot legte.
Schuld an der Misere war ein Techtelmechtel Sandras mit einem
Vereinskameraden auf dem Zeltlager der Sportvereins. Das sie
Thomas unterschlug, der das Ganze natürlich von anderer Seite
gesteckt kam. Es knallte mächtig im Karton. Sandra heulte und
flehte, Thomas tobte, gab ihr aber eine zweite Chance. Doch die
giftige Saat der Untreue war auf fruchtbaren Boden gefallen,
denn künftig verfolgte Thomas seine Liebste mit einer
Überportion Eifersucht. Lautstarke Szenen inbegrifffen. Als Sandra schließlich die Nase voll von den peinlichen
Überwachungs- und Rechtfertigungsritualen hatte, machte sie
Schluss. Die Liebesampel sprang um auf Rot. Absoluter
Stillstand. Doch auf Rot folgte bald Grün. An Sandras Geburtstag tauchte
Thomas unaufgefordert auf und eroberte erneut ihr Herz. Runde
Zwei begann. Fortsetzung siehe oben. Mal baute er Mist, mal
provozierte sie das Aus. Mal bot sie die Friedenspfeife an, mal
er. Ihre Bekannten regten sich über das Beziehungstheater der
beiden bald nicht mehr auf, sondern registrierten nur noch den
jeweils aktuellen Stand der Dinge. Emotionslos, wenn auch nicht
immer kommentarlos. Die endgültige Trennung nahmen sie erst dann
wahr, als Sandra und Thomas mit neuen Partnern erschienen. Warum können Ampel-Paare keine
"normale" Beziehung führen? • Weil sie in Liebesangelegenheiten ausgesprochene Hitzköpfe
sind, die sämtliche Gefühle - innige Zärtlichkeit ebenso wie
unbeherrschte Wut - mit großer Intensität ausleben. Ihr
Emotionsschreiber zeichnet keine sanften Wellenbewegungen auf,
sondern extreme Ausschläge nach oben und unten. Ein stetes Auf
und Ab. Zwischen begeistertem Liebestaumel und erbittertem
Kampf. Ein brodelnder Beziehungsvulkan. Leidenschaft pur. • Zu dieser stark ausgeprägten Emotionalität gesellt sich bei
den Ampel-Paaren ein anderes Verständnis von Partnerschaft. Mit
Werten wie Geduld, Verständnis, Selbstbeherrschung oder
Kompromissbereitschaft haben sie wenig am Hut. Das eigene Ich
und die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse sind ihnen
wichtiger als die Geborgenheit eines fordernden Partners. Wie
sonst ließen sich die Seitensprünge oder andere
Bockmist-Aktionen erklären? • Ein weiterer Punkt ist die Sehnsucht nach dem Gefühl des
Frischverliebtseins. Irgendwann stellt sich bei jedem Paar der
Beziehungsalltag ein. Das aufregende Prickeln ist wohliger Ruhe
gewichen. Die Ausschüttung berauschender Endorphine nimmt
deutlich ab. Mit jeder Versöhnung kehren die Ampel-Paare zum
rosaroten Ausgangspunkt zurück. Mit jedem Streit flüchten sie
vor dem normalen Beziehungsleben, das sie als wenig
erstrebenswert und irgendwie auch bedrohlich halten.
Beziehungsarbeit ist nicht ihr Ding, dann doch lieber zurück auf
Los. • Nicht zuletzt haben Ampel-Paare ein Problem mit ihrer
Kommunikation. Anstatt Konflikte auf vernünftige Art und Weise
auszutragen und Streitthemen auszudiskutieren, wählen sie die
scheinbar leichtere Variante von Rache oder Gefühlsverweigerung.
Schließlich ist diese "Sprache" mehr als deutlich und wird von
jedem verstanden. Da sie nicht gelernt haben, ihre Bedürfnisse
und Gefühle ehrlich auszudrücken, neigen sie oft zu
Überreaktionen. • Tja, und dann gibt es noch einige wenige Exemplare, die diese
Beziehungs-Achterbahnfahrt regelrecht genießen und die ständigen
Reibereien und Extrem-Gefühlssituationen wie ein spannendes
Abenteuer erleben. Ein aufregender Kick, ein nervenaufreibender
Thrill, der süchtig nach Mehr macht. Ein bewusstes, aber nicht
minder gefährliches Spiel mit dem Feuer. Warum kommt es wider jeder Vernunft
immer wieder zur Versöhnung? Für Außenstehende sind derartige
An-Aus-Beziehungen nur schwer nachvollziehbar, eben deshalb,
weil sie von anderen Werten ausgehen und vernunftgesteuerter
sind. Dennoch ist man irgendwo auch fasziniert davon, mit welch
grenzenlosem Optimismus diese Beziehungs-Knipser in die nächste
Runde starten. Aus folgenden Gründen können finden Ampel-Paare immer wieder
zusammen: • Jeder neue Versuch ist eine Herausforderung, es diesmal zu
schaffen. • Die traumhaften Highlights wiegen stärker als die
alptraumhaften Downs. • Die Partner sind emotional gleich gepolt und in gewissem Maße
auch aufeinander fixiert. • Die Sexualität dieser Paare ist meist besonders intensiv und
anregend. Und so gut wie nie langweilig. • Derartige Paare haben sich eine eigene, für andere nicht
zugängliche Welt geschaffen. Das schweißt zusammen, wenn auch
nur für begrenzte Zeit. • In "normalen" Beziehungen mit anderen Partnern wären sie
möglicherweise überfordert. Bei ihrem "alten" Partner wissen sie
hingegen, dass er an ihre Toleranz oder Verständnis nur
begrenzte Ansprüche stellt. Und die Aussichten solcher Paare? Die sind eher schlecht. Weil die fortwährenden Zerreißproben
eine Menge Kraft und Energie kosten. Irgendwann werden die Akkus
leer und die beteiligten Partner ausgebrannt sein. Und das
Beziehungs-Drama hat endlich ein Ende. © 2000 Anja Gerstberger, Bilder: Copyright by Corel Draw, verwendet in Lizenz
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