Mein Partner - mein Gegner?

Über Machtkämpfe in Beziehungen

Beispiele
Machtkämpfe sind durchaus okay
Wichtig: Richtige Balance
Machttypen
Typische Kriegsschauplätze
Machtmittel
gefährliche Folgen
Tipps zum Entschärfen von Kampfsituationen


Beispiele

Freitagabend. Kathrin will ihren Freund Thomas mit einer selbst gemachten Lasagne überraschen, für die sie stundenlang in der Küche gewerkelt hatte. Da klingelt das Telefon. Thomas ist am Apparat und sagt ihr für den heutigen Abend ab, weil seine Kumpels nach dem Training kurzfristig eine Mannschaftssitzung abhalten wollten. Kathrin ist stinksauer, sagt aber nichts. Als Thomas sie am nächsten Tag in den Arm nehmen und küssen will, dreht sie sich demonstrativ mit verkniffenem Gesichtsausdruck ab...

Anderes Paar, aber eine ähnliche Szene:

Die beiden Busenfreundinnen Julia und Melanie schmieden Pläne für das nächste Wochenende. Julia möchte wieder in die Disco, Melanie schlägt zur Abwechslung einen Kinobesuch vor. Da Julia beim letzten Mal einen süßen Jungen entdeckt hatte, den sie wieder zu sehen hofft, gibt sie nicht nach, und es kommt zu einem Streit, bei dem Julia ihrer Freundin an den Kopf wirft, dass sie nur deswegen nicht in die Disco wolle, weil sie nicht besonders gut tanzen könnte. Völlig zerstritten verbringt jede das Wochenende allein. Unglücklich. Melanie, weil sie sich im Kino zwischen den knutschenden Pärchen blöde vorkommt. Und Julia, weil ihr Schwarm in der Disco händchenhaltend mit einem anderem Mädchen aufgekreuzt ist....


Machtkämpfe sind durchaus okay

Kathrin und Thomas. Julia und Melanie. Zwei Paare. Ein Problem.

Sie tragen untereinander einen Machtkampf aus. Duelle und Rivalität bei Menschen, die sich lieben oder miteinander befreundet sind? Ist das nicht krank?

Nein, ist es nicht. Im Gegenteil. Kleine Reibereien in Beziehungen sind völlig normal.

Problematisch wird es erst dann, wenn immer der gleiche Partner gewinnt bzw. verliert. In diesem Fall stimmt dann aber grundsätzlich etwas nicht bei den beiden und der große Knall ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Ansonsten muss eine gute Beziehung gelegentliche Konflikte aushalten können.

Machtkämpfe sind also durchaus okay, ja, sie können sogar regelrecht belebend wirken! Vorausgesetzt, ihr tragt sie fair aus!


Wichtig: die richtige Balance finden!

Auseinandersetzungen in Beziehungen gehen immer wieder auf die gleichen Grundkonflikte zurück. Du wirst von zwei gegensätzlichen Polen gleichzeitig angezogen und hängst irgendwie blöd dazwischen. Kein Wunder, dass es da auch mal Knatsch gibt. Folgenden Anziehungspunkte müsst ihr in ein ausgewogenes Verhältnis bringen:


Das Streben nach Verschmelzung und Abgrenzung

Einerseits seid ihr unzertrennlich und wollt möglichst viel Zeit miteinander verbringen, aber andererseits auch als eigene Person wahrgenommen werden und eure Interessen durchsetzen. Sei mal ehrlich: Bist du für die anderen tatsächlich Claudia oder wird dein Name nur in Verbindung mit einem anderen genannt: Jochen und Claudia bzw. Saskia und Claudia? Ein Tipp bei Fall Zwei: Gönnt euch bewusst einen Tag pro Woche als Auszeit vom anderen und unternehmt mal alleine was oder mit völlig anderen Leuten! Dann freut ihr euch wieder umso mehr aufeinander.

Das Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Anpassung

Du bist eine eigene Persönlichkeit mit ganz speziellen Wünschen und Vorlieben. Ein Einzelstück. Der andere Partner allerdings auch. Das ergibt ein natürliches Spannungsfeld, denn jeder möchte zu seinem Recht kommen, ohne den anderen zu verlieren. Das klappt nur, wenn ihr euch aneinander anpasst. Natürlich abwechselnd!

Der Wunsch nach langweiliger Harmonie und prickelndem Erobern

Der Mensch ist schon ein komisches Geschöpf! Er möchte glücklich mit seinem Partner oder Freund(in) sein und möglichst keinen Streit haben. Aber gleichzeitig gibt es Momente, wo ihm die gewünschte Eintracht auf den Keks geht und er diese Harmonie plötzlich als langweilig empfindet. Mit einem Male braucht er das prickelnde Gefühl des Eroberns und er versucht seinen Marktwert zu testen. Bin ich beliebt? Würde ich auch bei anderen als meinem derzeitigen Partner/Freund(in) ankommen? So ein gelegentliches Über-den-Tellerrand-Gucken ist gar nicht mal so schlecht, denn es führt dazu, dass man sich miteinander wieder mehr Mühe gibt.


Machttypen

Die eiskalten Züchtiger

Sie erklären ihrem Opfer ganz offen, was ihnen blüht, wenn sie nicht klein beigeben: "Wenn du mir dein Kleid nicht leihst, verrate ich deiner Mutter, dass du letztes Wochenende nicht bei mir, sondern bei deinem Freund übernachtet hast!"

Das leidende Opferlamm

Sie erzeugen Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen. Die Anklage "Du bist schuld" bleibt zwar selbst unausgesprochen, ist aber eindeutig zu vernehmen: "Wenn du mit mir nicht Mathe lernst, muss ich eben alleine zurechtkommen! (Und in der Probe eine schlechte Note schreiben, für die du dann verantwortlich bist!)".

Der verlockende Verführer

Sie machen ihrem Opfer die tollsten Versprechungen, manchmal ganz geschickt "so nebenbei", falls sie nachgeben: "Wolltest du nicht mein Referat überarbeiten?... Wäre doch klasse, wenn wir uns heute einen richtig schönen Videonachmittag machen könnten!"


Typische Kriegsschauplätze

Freizeitgestaltung

Minigolf oder Schwimmen? Italiener oder Grieche? Lesen oder Fernsehen? Disco oder Kino? Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Vergiss nicht: Es geht hier weniger um das Gewinnen als um das gemeinsame Spaß haben...

Geld

Teurer Mexikaner oder billiger Schnellimbiss? Essen gehen oder selber kochen? Kino, Video oder Fernseher? Markenklamotte oder No-name-Produkt? Ausgehen oder daheim bleiben? Nur bummeln oder auch einkaufen? Nicht nur bei erwachsenen Paaren spielt Geld eine wichtige Rolle und ist sogar das Streitthema Nummer 1! Hast du stets mehr/weniger Geld als deine Freundin/dein Freund zur Verfügung und kannst daher wesentlich großzügiger damit umgehen bzw. musst dich auch dementsprechend sparsam verhalten, ist gelegentlicher Streit regelrecht vorprogrammiert.

Übrigens: Weniger kann auch mehr sein...

Aussehen

Wer ist größer, schlanker, modischer, durchtrainierter, besser angezogen, auffallender, gekonnter geschminkt? Wer hat weniger Pickel, die pfiffigere Frisur, die schöneren Haare, das hübschere Gesicht, die ebenmäßigeren Zähne, die gepflegteren Hände, die knackigere Bräune? Ständig begutachten wir die Konkurrenz. Weil wir wissen wollen, wie wir im Vergleich zu ihr abschneiden. Um unsere Erfolgsaussichten im Kampf um das andere Geschlecht rauszukriegen.

Was natürlich absoluter Schmarrn ist, weil wir ja alle wissen, dass es in Wirklichkeit nur auf die inneren Werte ankommt...

Geschicklichkeit

Wer gibt den besseren Skifahrer, Fußballer, Tennis- oder Billiardspieler ab? Wer ist der sicherere Autofahrer, der elegantere Skater, der bessere Biker? Wer siegt häufiger bei den Computerspielen?

Denk dran: Nobody is perfect...

Sex

In einer Liebesbeziehung: Wer ergreift die Initiative, wer gibt die Stellungen vor, wer bestimmt den Zeitpunkt und den Ort des Geschehens, wer sagt an und wer macht mit?

Unter Freunden: Wer hat mehr Sex, wer hat den besseren, wer kann länger und wer öfter, wer hat mehr Erfahrungen, wer die ausgefalleneren? Derartige Vergleiche sind mindestens genauso schwachsinnig wie das Messen eures besten Stücks bzw. eures Busenumfanges!

Sex ist die schönste Ausdrucksform von Liebe, die es gibt auf der Welt! Und keine neue olympische Disziplin...

Erfolg

Wer hat mehr Zweier im Zeugnis? Wer kann stolz den beeindruckenden Pokal der errungenen Schulmeisterschaft präsentieren, während es für den anderen nicht mal zum läppischen Sportabzeichen reicht? Hinter wem pfeifen mehr Jungen her, wer zieht mehr schmachtende Mädchenblicke auf sich? Wer hat den tolleren Job, den interessanteren Beruf?

Schade eigentlich, dass uns der Blick auf den anderen den auf unsere eigenen Stärken verdeckt...


Machtmittel

Hier findest du die gebräuchlichsten Waffen bei den Duellen, die zwar alle gefährlich, aber auch feige sind:

Schweigen

Da ich sauer bin, beantworte ich keine Frage und ersticke jeden Gesprächsansatz im Keim. Ganz bewusst. Eiskalt. Und der andere weiß nicht, wie ihm geschieht. Wie lange wohl meine Genugtuung über seine Verzweiflung anhalten wird?

Nichtbeachten

Die verschärfte Variante von oben. Ebenso gemein wir wirkungsvoll. Wie würdest du dir vorkommen, wenn man dich wie Luft behandelt und bestrafend "übersieht"?

Schmollen

Heftig einschnappen und es lange bleiben. Und erst wieder ausschnappen, wenn der andere teuer dafür bezahlt hat. Möchtest du im Ernstfall wirklich wissen, welchen Preis dein Partner für dich zu zahlen bereit ist?

Zicken

Bühne frei für den theatralischen Auftritt. Sämtliche Register ziehen, alle zur Verfügung stehenden Requisiten einsetzen: Schreien, Stampfen, Telefonhörer auf die Gabel knallen, Tisch leer fegen, Fotos und Briefe zerfetzen, Geschenke vor die Füße werfen, Türen schmeißen, wegrennen usw. Was wohl dein Publikum von dir denkt?


Tränen

Kaum ein männliches Wesen, das sich nicht von einem tränenüberströmten Gesicht oder heftigem Schluchzen berühren lässt. Und erweichen. Was schließlich das Ziel der weiblichen Heulboje ist. Möchtest du als (Probealarm-) Sirene enden, bei deren Signalton keiner mehr reagiert?

Liebes- und Zärtlichkeiten-Entzug

Liebe als knallhartes Geschäft. Wenn du das wieder gut machst oder in jenem Punkt nachgibst, dann darfst du auch mit mir schmusen und mehr. Du gibst und ich nehme. Den Preis bestimme ich. Möchtest du dich etwa auf eine Stufe stellen, mit denjenigen Damen und Herren, die sich ihren Körper ebenfalls bezahlen lassen?

Emotionale Erpressung

Das gefährlichste, weil heimtückischste Mittel. Oft merkt das Opfer gar nicht, dass es vom anderen manipuliert wird. Getreu dem Motto: Wenn du dich nicht so verhältst, wie ich es möchte, dann wirst du leiden. Bis du Reue zeigst. Diese Methode ist besonders hinterhältig, weil man hier gezielt die Schwächen des anderen für seine Zwecke ausnutzt. Bist du stolz darauf, deinen Partner bei der lästigen Familienfeier hängen zu lassen, wenn du weißt, wie sehr er unter seiner anstrengenden Verwandtschaft leidet?

Wie du diese Waffen wirkungsvoll entschärfst, kannst du weiter unten nachlesen.


Machtspiele können gefährliche Folgen haben!

Die Achtung vor dem anderen sinkt

Mal ehrlich: Was hältst du von einem Partner, der sich so ziemlich alles alles gefallen lässt? Der bereitwillig nach deiner Pfeife tanzt und dir keinerlei Widerstand entgegensetzt? Würdest du nicht langsam die Achtung vor ihm/ihr verlieren? Die stete Nachgiebigkeit als die Schwäche eines Waschlappens bzw. Weicheis auslegen?

Das ist gefährlich, denn zu einer funktionierende Beziehung gehört nun mal gegenseitiger Respekt dazu!

Die Machtmittel und Ansprüche werden extremer

Das probieren schon die kleinen Kinder aus: sie testen, wie weit sie in ihrem Verhalten gehen können, was sie sich erlauben dürfen, was sie aus einer Situation herausholen können. Bis man ihnen Einhalt gebietet und sie merken, dass sie das Maß überschritten haben. Zeige daher rechtzeitig die rote Karte!


Tipps zum Entschärfen von Kampfsituationen

Wie ihr fair und offen mit Macht umgehen könnt, so dass jeder von euch zu seinem Recht kommt:

• Wenn du dich in einer Auseinandersetzung durchsetzen willst, dann spiele mit offenen Karten, indem du klipp und klar sagst, was du willst und es nicht mit versteckten Manipulationen zu holen versuchst!

• Zu aufrichtigen Gefühlen gehört es dazu, sich nicht nur durchzusetzen, sondern auch mal nachzugeben. Wenn du nur eines von beiden kannst, dann trägst auch du einen Teil zum Machtmissbrauch bei! Also: Keine Gewinner- und Verlierer-Rollen zementieren!

• Versuche niemals, in die bessere Position zu kommen, indem du den anderen schlecht machst! Was du nicht willst, dass man dir tut,....

• Verbünde dich nicht mit Dritten gegen deinen Partner! Wenn du Familienmitglieder oder andere Freunde für deine Zwecke missbrauchst, wirst du auf lange Sicht eure Partner- bzw. Freundschaft aushöhlen und kaputt machen!

• Entscheidet gleichberechtigt nach der Einmal-bist-du-einmal-bin-ich-dran-Strategie! Vereinbart, dass ihr bei euren Entscheidungen abwechselnd zum Zuge kommt, wenn ihr euch partout nicht einigen könnt. Das Nachgeben fällt dann auch wesentlich leichter, wenn man weiß, dass man beim nächsten Mal garantiert an der Reihe ist.

• Nehmt in verfahrenen Situationen die goldene Mitte! Wenn ihr euch nicht für eine der beiden Möglichkeiten entschließen könnt, dann nehmt doch einfach eine dritte. Weder Schwarzenegger, noch Julia Roberts, dann eben Eddie Murphy! So fühlt ihr euch beide als Gewinner!

• Haltet folgende Regel ein: Wer nachgibt, darf sich hinterher nicht "rächen". Erst grünes Licht geben und dann dem anderen den Abend zu versauen, indem du eine missmutige Flotsche ziehst, ist unfair!

Machtlos gegenüber Machtkämpfen in Beziehungen?
Macht nichts!
Denn Ohnmacht ist auch eine Macht!
Man muss sie nur richtig einzusetzen wissen...

Macht´s gut!


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