Vergewaltigung

Begriffe
Dunkelziffer
Verbreitete Irrtümer
Richtiges Verhalten danach
Schuldgefühle verboten!
Widerstand oder Stillhalten?
Befürchtungen vieler Mädchen
Selbstverteidigungskurs


Begriffe

Das Strafrecht unterscheidet zwischen Vergewaltigung und Sexueller Nötigung. Eine Vergewaltigung liegt dann vor, wenn ein Mann eine Frau zum Geschlechtsverkehr zwingt, ihr Gewalt antut oder sie dabei bedroht.

Alle anderen sexuellen Handlungen, die gegen den Willen der Frau durchgeführt werden, fallen unter das Delikt sexuelle Nötigung.


Warum gibt es über Vergewaltigungs-Verbrechen keine genauen Zahlen?

Aus dem einfachen Grund, weil die Dunkelziffer der nicht angezeigten Straftaten sehr hoch ist und nur grob geschätzt werden kann.

Man vermutet, dass höchstens jede 5. bis 10. Frau sich dazu durchringen kann, zur Polizei zu gehen und das Verbrechen anzuzeigen. Und warum? Weil nach wie vor viele Frauen Angst davor haben, was danach kommt, was ihnen über die eigentliche Straftat hinaus noch an Leid zugefügt werden wird: Gerede, unangenehme Untersuchungen, peinliche Befragungen, entwürdigende Gerichtsverhandlungen und die Ungewissheit, ob ihre Anzeige auch tatsächlich den gewünschten Erfolg bringen wird, d.h. ob es überhaupt zu einer Verurteilung kommen wird. Man darf dabei nie vergessen, dass die Vergewaltigung die einzige Straftat ist, bei der das Opfer die eigene Unschuld beweisen muss. Eigentlich ein unglaublicher Sachverhalt!

Dennoch sollte jede Frau eine Vergewaltigung oder den Versuch einer solchen unbedingt anzeigen.

• Um sich wenigstens im nachhinein wehren zu können und ein Mindestmaß an Genugtuung zu erfahren.

• Um den Täter öffentlich anzuprangern und den anderen Leuten als das zu präsentieren, was er ist: ein Verbrecher.

• Und schließlich: um andere Frauen in Zukunft vor ihm zu schützen.


Die verbreitetsten Irrtümer zum Thema Vergewaltigung

"Frauen sind oft selber schuld an dem, was ihnen zugestoßen ist"

Dieser blöde Spruch unterstellt den armen Opfern, dass sie durch ihr Auftreten oder eine aufreizende Kleidung die Tat gewissermaßen provoziert hätten. So ein Schwachsinn! Sollen sich etwas alle Frauen in Sack und Asche hüllen und nur hochgeschlossene Blusen und bodenlange Röcke tragen, nur um die unschuldigen Männer nicht auf falsche Gedanken zu bringen?!? Dann müssten die Schwimmbäder schon längst ihre Pforten für immer geschlossen haben, wo es dort so viel nackte Haut zu bewundern gibt....

Mal im Ernst: Kein Mann hat das Recht, eine Frau gegen ihren Willen zu berühren, selbst dann nicht, wenn sie völlig nackt vor ihm stünde!

Auch der Vorwurf, die Opfer hätten sich eben nicht zu später Stunde auf der Straße herum treiben oder durch Kneipen ziehen sollen, gilt nicht. Schließlich hat noch ein jeder das Recht auf seine ganz persönliche Freizeitgestaltung, oder?

Außerdem müssten nach dieser zweifelhaften Logik den Opfern von Einbrüchen vorgeworfen werden, sich Schmuck oder einen Teppich gekauft zu haben...

Ein unnötiges Risiko einzugehen, indem man die gefährliche Abkürzung durch den dunklen Park wählt, ist allerdings eine andere Geschichte. In diesem Fall ist der Frau durchaus eine Teilschuld zuzusprechen. Wohlgemerkt, die Betonung liegt auf "Teil-".


"Vergewaltiger sind pervers und geistesgestört"

Verbrecher stellen sich die meisten Leute schon rein äußerlich abstoßend vor: Glatze, ungepflegt, übergewichtig, schiefe Zähne, platte Nase usw. Oder sie halten ihn für psychisch krank, durchgeknallt, extrem vereinsamt oder total verklemmt, eben jemand, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.

Dem ist natürlich nicht so.

Lediglich ein (!) Prozent der Vergewaltiger sind tatsächlich geistesgestört, beim Rest der Täter handelt es sich um ganz gewöhnliche Männer: durchschnittliches Aussehen, Ehemänner, Familienväter, normale Berufstätige.

Vergewaltiger sind also keinesfalls besonders auffällige Typen oder Perverse.

Wenn man einmal davon absieht, dass alle Männer, die Frauen durch eine Vergewaltigung unterwerfen und sich gefügig machen möchten, eine perverse Vorstellung von Sexualität haben müssen...


"Das Opfer kennt den Täter nicht"

Denkste! In drei Viertel der Fälle kennt das Opfer seinen Täter. Nicht selten entstammt der Bösewicht sogar aus der unmittelbaren Umgebung: Bekannte, Freunde, Kollegen, Nachbarn, Verwandte. Die Mär vom großen Unbekannten ist nur bei jedem fünften Täter keine.

Nun kann eine Frau aber auch nicht jeden Mann neben sich für einen potentiellen Vergewaltiger halten, da wäre sie wohl ziemlich schnell mit den Nerven am Ende. Viele behelfen sich dann dadurch, dass sie ihre Angst vor einer Vergewaltigung dann auf unheimliche Orte wie dunkle Gassen, entlegene Plätze oder einsame U-Bahn-Stationen u.ä. lenken.


"Viele Frauen wünschen sich insgeheim doch, einmal gegen ihren Willen genommen zu werden"

Gar nicht so selten, diese Ansicht.

Wir leben heute in einer Zeit, in der ein Großteil der Bevölkerung hemmungslos seine geheimsten Wünsche und Gedanken an die Öffentlichkeit trägt (Talkshows, Umfragen, Leserbriefe) und ohne jede Scham über sein tatsächliches und erträumtes Sexualleben spricht. Sexuelle Fantasien werden ausgetauscht und ausgebreitet, wohlgemerkt, Fantasien. Sich etwas als eine Art Film im Kopf vorzustellen, sich gefahrlos gedanklich auszumalen und jederzeit alles im Griff zu haben oder etwas in der Realität tatsächlich zu erleben, sind immer noch zwei grundverschieden Dinge!


"Prostituierte sind wichtig, denn ohne sie würde es mehr Vergewaltigungen geben"

Und deswegen müssen jetzt alle Frauen den Damen des horizontalen Gewerbes unendlich dankbar sein, oder? Weil sie uns vor den bösen Vergewaltigern bewahren, indem sie sich gegen Cash der Männerwelt zur Verfügung stellen?

Der Gedankengang hinter dieser Auffassung ist dennoch krank. Er reduziert die Männer nämlich auf wehrlose, von ihrem Trieb geknechtete Wesen, die sich regelmäßig Erleichterung verschaffen müssen, eine Erleichterung, die ihnen von Natur aus gewissermaßen "zusteht"? Und wenn kein Puff in der Nähe ist, schnappt er sich eben die nächstbeste Frau, oder was?

Völliger Blödsinn! Denn eine Vergewaltigung hat weniger mit Sexualität als viel mehr mit Macht und Unterwerfung zu tun.

Die angeblich unkontrollierbaren Mächte, die die armen Männer heimsuchen, sind bequeme Ausreden und peinliche Rechtfertigungsversuche. Darin unterscheiden wir uns als Mensch doch vom Tier, dass wir trotz unbändigen Kohldampfs eben nicht den nächsten Bäcker oder Imbissbude überfallen müssen, sondern unsere Bedürfnisse kontrollieren können, zumindest so weit, dass wir andere dabei nicht zu Schaden kommen lassen.


Was soll ich tun, wenn´s passiert ist?

Dich jemandem deines Vertrauens anvertrauen: Eltern, Freundin, Schwester. Oder, wenn es dir leichter fällt, dich anonym an einen speziellen "Notruf" zu wenden. Derartige Nummern findest du in jedem Telefonbuch.

Ebenfalls hilfreich: Spezielle Beratungsstellen und Einrichtungen (Pro Familia, Zartbitter, Wildwasser), die mit Vergewaltigungen Erfahrungen haben und daher auch entsprechend behutsam mit dir umzugehen wissen. Oft findest du dort Frauen als Gesprächspartner, denen Ähnliches widerfahren ist und die dir bei allem, was noch auf dich zukommen wird, kompetent unterstützen können.

Wichtig ist, dass du möglichst schnell einen Arzt aufsuchst, der dich auf Verletzungen untersucht und diese in einem Protokoll festhält, damit du später bei einer möglichen Gerichtsverhandlung auch überzeugendes Beweismaterial vorlegen kannst. Außerdem kann er dir eine "Pille danach" geben, für den Fall, dass der Übergriff in den fruchtbaren Tagen erfolgt ist und daher die Gefahr einer Schwangerschaft bestehen könnte.

Was du auf keinen Fall tun solltest, auch wenn es dich vermutlich am meisten danach drängt: dich duschen und deine Kleidung säubern bzw. beseitigen. Du würdest dadurch nämlich wichtiges Beweismaterial vernichten, so dass du gegenüber deinem Peiniger nicht mehr so gute Karten hättest. Und du willst doch, das er die Strafe bekommt, die er für sein schändliches Verhalten verdient hat, oder?

Ebenfalls wichtig: Möglichst bald alles ganz genau aufzuschreiben: Was wann, wie, wo passiert ist. So können Gedächtnislücken, auf die sich der gegnerische Anwalt mit Vergnügen stürzen würde, vermieden werden und du könntest bei dem Verhör , aber auch vor Gericht wesentlich sicherer und überzeugender auftreten.

Auf Wunsch wirst du es außerdem nur mit Frauen zu tun bekommen: eine Kriminalbeamtin wird dich vernehmen, eine Ärztin untersuchen, eine Anwältin vertreten. Nur zu verständlich, wenn du einem Mann vorerst nicht das erforderliche Vertrauen entgegen bringen könntest.


Schuldgefühle sind verboten!

Vielleicht machst du dir Vorwürfe, dass du dies getan oder jenes unterlassen hast. Egal, ob möglicherweise Alkohol im Spiel war oder du deinem neuen Bekannten leichtfertig in seine Wohnung gefolgt bist, du trägst an der Tat keine Schuld. Die Verantwortung für die Vergewaltigung trägt der Täter allein. Für sein mieses Verhalten gibt es keine Entschuldigung.

Theoretisch kann jede Frau Opfer einer Vergewaltigung werden. Während die Mehrheit davor verschont bleibt, hast du diese bittere Erfahrung leider machen müssen. Aber deswegen bist du kein schlechter oder minderwertiger Mensch, sondern ein ganz normales Mädchen, das sich zur falschen Zeit am falschen Ort in der Nähe der falschen Person aufgehalten hat.


Sich wehren oder still halten?

Vermutlich liegt es daran, dass sich viele Mädchen und Frauen, was ihre körperliche Stärke betrifft, zu wenig zutrauen und von einer Vergewaltigung die schlimmsten (Verstümmelungs- oder Mord-) Vorstellungen in den Köpfen haben, so dass sie der Meinung sind, im "Ernstfall" wäre es sinnvoller, die Vergewaltigung über sich ergehen zu lassen, anstatt sich dem Täter mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Nach dem Motto: Wenn ich still halte, ist er zufrieden und bringt mich nicht um.

Die Studie einer Kriminalkommissarin hat jedoch ergeben, dass viele Frauen schon bei leichter Gegenwehr entkommen können. Schreien, Treten, Beißen, Schlagen und Kratzen seien durchaus wirksame Mittel, um den Täter in die Flucht zu schlagen oder von seinem Vorhaben abzubringen. Die gleiche Studie widerlegte auch das verbreitete Vorurteil, eine sich wehrende Frau würde den Täter erst recht aggressiv machen. Lediglich auf einen von über 200 Fällen traf dies zu.


Warum halten viele Frauen Widerstand für zwecklos?

Grund dafür sind wohl folgende falsche Vorstellungen, die in den Köpfen der Frauen herum spuken:


"Männer sind grundsätzlich stärker als Frauen."

Erstens können Frauen ungeahnte Kräfte entwickeln, wenn es hart auf hart geht. Und zweitens können sie fehlende körperliche Kraft durch die richtige Technik und den gezielten Angriff auf die besonders empfindlichen Stellen des Täters ausgleichen. So kann Köpfchen über reine Muskelkraft siegen.


"Ich habe Angst, ihn ernsthaft zu verletzen."

Ein kaum nachzuvollziehendes Argument. Wenn es um deinen Schutz und deine Verteidigung geht, sollte dir der Gesundheitszustand deines Peinigers auf gut Deutsch am A... vorbei gehen. Immerhin hat er dich angegriffen und nicht du ihn. Du verteidigst dich lediglich. Wenn er dabei irgendwelche Verletzungen davon trägt, hat er sich das selber zuzuschreiben.


"Ich fürchte mich davor, selber verletzt zu werden"

Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit, einen Vergewaltigungsversuch ohne jegliche Blessur zu überstehen, ist ziemlich gering. Dennoch solltest du dich wehren. Mag sein, dass du einige Schrammen abbekommst, aber dafür wirst du wahrscheinlich auch entkommen. Dann ist der Preis nicht zu hoch. Blaue Flecken und eine blutige Nase heilen um einiges schneller als die (seelischen) Wunden, die eine erlebte Vergewaltigung hinter lässt...


"Wenn ich mich zur Wehr setze, bringt er mich vielleicht um."

Die Statistiken beweisen, dass beim Tatbestand der Vergewaltigung mit Mord das Opfer erst nach der Vergewaltigung getötet wurde. Darum muss dein Ziel unbedingt lauten, zu verhindern, dass es überhaupt zu einer Vergewaltigung kommt, will heißen, dich nach allen Kräften wehren.


Soll ich einen Selbstverteidigungskurs machen?

Selbstverteidigungskurse, wie sie an Volkshochschulen, von Polizisten oder erfahrenen Kampfsportlehrern angeboten werden, sind eine sinnvolle Sache.

Du lernst nämlich, wie du gefährlichen Situationen grundsätzlich vorbeugen kannst, aber auch spezielle Verteidigungsgriffe, mit denen du dich aus einer Umklammerung befreien oder den Täter wirkungsvoll außer Gefecht setzten kannst. Gleichzeitig wird dir das Gelernte eine größere Sicherheit verleihen, was sich unbewusst auch in deiner Körpersprache nieder schlagen wird. Du wirkst stark und starke Mädchen wirken auf mögliche Täter bereits abschreckend.


© 2000 Anja Gerstberger