Privatsphäre oder nicht?

Das Problem von Grenzen, Geheimnissen und Vertrauen innerhalb der Familie

Rechtslage
Typische Problemfelder
Lösungsvorschläge

Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser!
Nach diesem berüchtigten Spruch verfahren viele Eltern Heranwachsender, sehr zu deren Leidwesen. Streit und Auseinandersetzungen sind da so gut wie vorprogrammiert. Während der Sohnemann auf die Beachtung seiner sogenannten Intimsphäre besteht, beharren seine Erzeuger wiederum auf ihre Rechte als Eltern und kommen mit Argumenten wie "Aufsichtspflicht" u.ä.
Wer hat nun recht?
Was dürfen Eltern nun tatsächlich und welche Grenzen müssen sie einhalten?


Die Rechtslage zum Problem

Dein Tagebuch, an dich adressierte Post und deine Telefongespräche sind deine Privatsache und daher für deine Eltern tabu. Sie dürfen deine Intimsphäre allerdings dann verletzen, wenn für sie berechtigte Gründe bestehen, dass du gefährdet bist, beispielsweise durch kriminelle Kontakte.

Du siehst an der Formulierung, dass die Rechtslage äußerst heikel ist, denn im Prinzip können die Eltern, wenn sie dir hinterher schnüffeln oder in deinen Sachen kramen, immer das Argument bringen, sie haben Angst, du könntest mit dem Gesetz in Konflikt geraten und irgendeine "Dummheit" anstellen.

Am besten "entwaffnest" du sie mit Offenheit. Versorge sie mit einer kurzen Information über den Brief oder das Gespräch. Erzähle ihnen gerade so viel, dass ihre Neugierde gestillt ist, aber so wenig, dass du nichts Intimes von dir preisgeben musst.


Die häufigsten Problempunkte zum Thema "Privatsphäre"

Es sind stets die gleichen lästigen Angewohnheiten, mit denen die Eltern ihren Sprösslingen in die Privatsphäre platzen:

Sie öffnen deine Post

Welche Mutter würde es nicht vor Neugier zerreißen, wenn ihre Tochter an ihrem Geburtstag etliche handschriftlich adressierte (und die Handschrift sieht sehr jugendlich aus...) Briefe bekommt, entweder ohne Absender oder ausschließlich männliche? Oder der Sohn einen rätselhaften Umschlag aus dem Ausland? Gedruckte Schreiben mit "offiziellem" Adressaufkleber sind übrigens keinen Deut besser, denn sie könnten ja ein wichtiges Dokument enthalten oder zumindest den Beweis, dass der Nachwuchs Ärger mit einer Behörde, bestimmt mit der Polizei, hat. Schlimmstenfalls die Einladung zu einem Vaterschaftstest.

Da müssen verantwortungsvolle Eltern doch eingreifen und nachgucken, oder? Die wenigsten machen sich die Mühe und versuchen ihr unerlaubtes Öffnen zu vertuschen, indem sie den Brief wieder sachgemäß verschließen. Und der berechtigte Ärger des Opfers entlädt sich in einem heftigen Streit....

Sie lesen dein Tagebuch

Ehrlich, in meinen Augen ein wahres Sakrileg! Tagebücher enthalten nun mal die geheimsten Gedanken und Empfindungen eines Menschen. Ein Buch nur für die Person, die es schreibt. Ein Tabu für jeden anderen. Da zieht auch die fadenscheinige Entschuldigung nicht, dass sie es besser hätte verstecken oder er sich ein Exemplar mit einem Schloss hätte besorgen sollen. Gerade während der Pubertät gibt es viele Dinge, über die Jugendliche lieber nicht oder schon gar nicht mit ihren alten Herrschaften, sondern lieber mit Gleichaltrigen besprechen möchten. Das hat weniger mit fehlendem Vertrauen zu tun, im Gegensatz zum unerlaubten Lesen eines Tagebuches. Das ist ein eindeutiger Vertrauensbruch!

Sie verbieten dir, dein Zimmer abzuschließen

Du willst dein Zimmer absperren, wenn du das Haus verlässt? Du schließt zu, wenn du dich mit deinem Schatz alleine in deinem Zimmer befindest? Aus Angst vor heimlichen bzw. unangekündigten Besuchen deiner Eltern? Ui,ui, das hört sich aber sehr nach Misstrauen und Verdächtigungen an! Oder nach schlechten Erfahrungen...

Wenn du beim Weggehen absperrst, vermuten deine Eltern erst recht, dass sich hinter der Tür ein dunkles Geheimnis verbirgt! Das gleiche gilt für´s Einschließen. Nach dem Motto "Wenn sie nichts Verbotenes tun würden, müssten sie auch nicht absperren...". Beliebt sind auch Argumente wie "Wir können in unserem Haus/Wohnung herumlaufen, wo wir wollen" oder "Wenn ein Feuer ausbricht, sind abgesperrte Türen einfach zu gefährlich!" Ja, wenn...

Hier hilft nur Eines: Ein klärendes Gespräch über den Ehrenkodex und Verhaltensregeln (s. u. unter "Vorschläge") sowie eine Riesenportion Vertrauen. Am besten Beides.

Sie hören deine Telefonate mit

Gut, wenn dein Kumpel anruft, um eine Frage zur Mathehausaufgabe zu klären, wird es dir ziemlich egal sein, ob sich ein Elternteil im Zimmer befindet und eurem fachmännischen Algebra-Disput lauscht. Hast du allerdings deine Flamme an der Strippe, legst du verständlicherweise gesteigerten Wert auf Diskretion, will heißen, du verzichtest dankend auf Mithörer jeglicher Art. Lediglich Stubentiger Kasimir darf hören, wie du "Ich dich auch" in die Muschel hauchst. Erinnere deinen Vater daran, wenn er dich das nächste Mal aus dem Zimmer schickt, weil er ein "wichtiges" Telefongespräch zu führen hat...

Sie schnüffeln in deinem Zimmer herum

Wenn sie es geschickt anstellen. Merkst du es nicht. Oder erst, wenn sie dich direkt auf etwas ansprechen, wovon sie eigentlich keine Ahnung haben dürften. Doch meistens hinterlassen die Schnüffler im Eifer des Gefechts eindeutige Spuren, so sieht dein Zimmer bei deiner Rückkehr irgendwie "aufgeräumter" aus oder bestimmte Sachen liegen nicht mehr genau so wie zuvor, was du ganz leicht an der bloßgelegten Staubspur erkennen kannst...

Du bist sauer auf die unerwünschten Eindringlinge in deinem Revier, vor allem wenn du überhaupt nichts zu verbergen hast. Aber noch viel mehr, weil über ihr mangelndes Vertrauen in deine Person enttäuscht bist. Das tut weh, sag es ihnen ruhig!

Sie kramen in deiner Schultasche

Weil sie dir deine im Vergleich zum letzten Schuljahr unerwartet guten Englischnoten nicht abkaufen, deine Hausaufgaben kontrollieren wollen oder befürchten, dass du als alter Schussel und Schlamper wichtige Elternbriefe vergammeln lässt.

Wenn du in deiner Schultasche nicht gerade Drogen, Zigaretten oder andere Peinlichkeiten (Kondome, Briefchen, Foto deines heimlichen Schwarms) versteckst, bräuchtest du dich eigentlich nicht großartig über den Forscherdrang deiner Eltern aufzuregen. Aber natürlich geht es auch hier wieder um das Prinzip. Deine Schultasche ist deine Angelegenheit, so wie die Handtasche deiner Mutter in ihre Privatsphäre fällt. In hartnäckigen Fällen, wenn ein Gespräch nicht fruchtet, kannst du ja mal in ihrer Handtasche kramen und dich von ihr dabei "erwischen" lassen, ob ihr das wohl gefallen würde? Anders sieht die Sache aus, wenn du in der Vergangenheit geflunkert oder tatsächlich wiederholt wichtige Zettel vergessen oder verloren und damit deinen Eltern unnötige Schwierigkeiten eingebrockt hast. Dann, aber auch nur dann, geht ihr Verhalten völlig in Ordnung.

Sie betreten ohne anzuklopfen dein Zimmer, wenn du Besuch hast

Solange du noch mit Barbiepuppen und Matchboxautos spielst, juckt es dich sicher nicht besonders, wenn deine Mutter mit einer "kleinen Erfrischung" oder der Frage, ob denn alles in Ordnung sei (was soll denn bitte schön nicht in Ordnung sein?!?) ins Zimmer platzt, während du Besuch hast.

Bist du jedoch älter, dann sind derartige Überfälle lästig und peinlich. Vor allem, wenn dein Besuch anderen Geschlechts ist und ihr wirklich ungestört bleiben wollt. Aber auch der aufregende, hochinteressante Inhalt von "Männergesprächen" unter Kumpeln oder typischem "Weibertratsch" sind nicht für die Ohren der Eltern bestimmt.


Lösungsvorschläge

Mit ein wenig Verständnis auf beiden Seiten müsstet ihr doch ein Regelung für dieses Problem finden oder? Lass im Bedarfsfall deine Eltern einfach diesen Beitrag lesen und setzt euch dann zu einem klärenden Gespräch hin. Vielleicht kommt ihr mit folgenden Vorschlägen weiter, vorausgesetzt, jede Partei geht ein Stück weit auf die andere zu:

• Erkläre deinen Eltern, dass du dich bei ernsthaften Problemen ganz sicher an sie wenden würdest, aber die typischen "Teenager-Angelegenheiten" lieber mit deinen gleichaltrigen Freunden besprichst.

• Führt die Regel ein, dass jedes Familienmitglied seine Telefonate ohne Mithörer führen darf. Das funktioniert am leichtesten, wenn sich euer Telefon nicht gerade im Wohnzimmer, sondern auf dem Flur (der dann natürlich während eines Telefongesprächs tabu ist!) oder in einem weniger genutzten Zimmer befindet. Wenn du extrem häufig oder lange telefonierst, lohnt es sich, über einen zweiten Anschluss nachzudenken.

• Gib deinen Eltern nicht das Gefühl, dass du sie aus deinem Leben ausschließt, sondern erzähle ihnen immer auch Dinge, die dein Privatleben betreffen ohne dabei deine wirklichen Geheimnisse zu berühren.

• Vereinbare mit deinen Eltern, dass sie stets anklopfen, wenn sie dein Zimmer betreten. Dabei sollte es egal sein, ob du dich allein dort aufhältst oder in Gesellschaft.

• Kommt die Post bei euch sehr spät, dann kannst du sie aus dem Briefkasten nehmen und deine Briefe dabei gleich abfangen. Wenn nicht, käme auch ein Postschließfach oder die Adresse einer Freundin als Anlaufstelle deiner Post in Frage. Allerdings sind das schon ziemlich "heftige" Maßnahmen, die von starkem Misstrauen zeugen. Ich halte ein Gespräch mit der Bitte um Wahrung deines Briefgeheimnisses auf jeden Fall für die bessere Lösung!

• Gewöhne dir an, deine Eltern über Schulangelegenheiten (Probearbeiten, Noten Elternabende, Termine, ...) immer auf dem Laufenden zu halten, um ihnen den Wind aus den ängstlichen Segeln zu nehmen. Wenn sie merken, dass du ihnen nichts verschweigst und alles zuverlässig mitteilst, stärkst du ihr Vertrauen in deine Person. Was sich auch als nützlich für andere Bereiche erweisen (Ausgehen...) kann.

• Verstecke dein Tagebuch sorgfältig, damit du deine Eltern gar nicht erst in Versuchung führst. Wenn sie nämlich nicht wissen, dass du ein Tagebuch führst, kommen sie auch gar nicht auf die Idee, darin zu lesen. Dagegen lädt ein offen herum liegendes Tagebuch geradezu zum Lesen ein...

• Selbstverständlich gelten sämtliche Vereinbarungen auch für die Geschwister...

Denk dran: Es gibt kein haltbareres und festeres Familien-Band als gegenseitiges Vertrauen!
Nach dem Motto: "Kontrolle ist gut, aber Vertrauen hält besser!"


© 2000 Anja Gerstberger