Reiseveranstalter Schule
Schneller, höher, weiter.
Die ewige Jagd nach Rekorden kennen wir aus dem Sport.
Mehr, häufiger, alles.
Die unersättliche Gier nach Konsum kennen wir auch.
Früher, öffentlicher, freier.
So wollen wir es mittlerweile sogar in der Partnerschaft.
Und jetzt, jetzt ist die
Schule dran und macht bei diesem Spielchen mit, das da heißt
"Wir drehen an der Endlosspirale".
Bezogen auf die oben genannten Beispiele will auch die Schule
von jedem etwas:
Weiter, häufiger, früher.
Gemeint sind Klassenfahrten.
Die gute alte Abschlussfahrt in der letzten Klasse, kurz vor
dem definitiven Ende der Schulzeit, hat ausgedient.
Da sie noch als eine Art Belohnung für die Mühen der
arbeitsaufwändigen Schuljahre und das letzte gemeinsame Erlebnis
für Lehrer und Schüler vor ihrem endgültigen Auseinandergehen zu
verstehen war, so war sie unter diesem Gesichtspunkt durchaus
gerechtfertigt.
Grundsätzlich, wie auch von den Kosten her.
Bei den heutigen Klassenfahrten sieht die Chose völlig anders
aus.
Auf die Komparative von oben bezogen, liest sich das wie folgt:
Weiter:
Wir fahren nicht ins Schullandheim um die Ecke, sondern quer
durch die gesamte Republik. Oder noch besser, gleich ins
Ausland.
Häufiger.
Wir fahren nicht einmal am Ende unserer Schulzeit, sondern
häufiger, z.B. wie an meiner Schule üblich (s.u.) im
Zwei-Jahres-Rhythmus.
Früher:
Wir fahren nicht mit den vernünftigen Entlass-Schülern, sondern
bereits in der Grundschule. Wie ging noch mal der Spruch mit dem
Sack Flöhe...?
Natürlich finden das die Schüler toll.
Nicht umsonst sind die Erinnerungen an diese "Highlights" aus
Schulzeiten die schönsten und am häufigsten genannte. Oder
würdet ihr euch beim Klassentreffen vom tollen Matheunterricht
bei Lehrer XY in der Mittelstufe vorschwärmen?
Wohl kaum. Dann doch lieber von der
Klassenfahrt, bei der das Klassengroßmaul nachts vor lauter
Heimweh nicht schlafen konnte oder die Klassenschönheit auf den
typischen Großküchen-Fraß eine hübsche Lebensmittelallergie in
ihrem hübschen Gesicht bekommen hatte. Oder wie ihr nachts durch
die Gänge geschlichen seid, oder wie ihr eure Lehrerin im
karierten Pyjama gesehen habt oder wie ihr den Mädchen beim
Duschen die Handtücher stibitzt habt, oder, oder, oder...
Derartige Geschichten wüsste ich auch zu erzählen.
Immerhin habe ich einen beachtlichen Klassenfahrten-Schatz
vorzuweisen.
6. Klasse: Wandern in der fränkischen Schweiz.
8. Klasse: Skikurs im Schwarzwald.
10. Klasse: Eine Woche Berlin.
12. Klasse: Eine Woche Rom.
Klasse, nicht?
Ich kann nicht leugnen, dass mir diese Fahrten immer viel Spaß
gemacht haben und unsere Klasse dabei immer eine Riesengaudi
hatte. Ob es unseren armen Lehrern genauso erging, wage ich
rückblickend etwas zu bezweifeln...
Klar, dass die komplette Klasse mitgefahren ist.
Klar, dass die Eltern mitgespielt und
den entsprechenden Preis gezahlt haben. Die Blöße, etwas von
"finanziellen Engpässen" zu faseln oder gar einen Antrag auf
Unterstützung "wegen Bedürftigkeit" (!) zu stellen, will sich
schließlich niemand vor den anderen geben.
Auch wenn die Reisen nicht gerade billig waren.
Auch wenn wir drei Geschwister waren und daher schon mal
mehrere derartiger Reisen in einem Jahr anfallen und die
Familienkasse belasten konnten.
Da meine Schulzeit schon wieder einige Jahre zurück liegt,
haben die Dimensionen der Klassenfahrten inzwischen sicher noch
weitere Ausmaße angenommen.
Eine Annahme, die sich in mehreren Gesprächen mit Betroffenen
und bei meiner Recherche für diesen Beitrag bestätigt hat.
Das Ausland ist längst keine Besonderheit mehr.
Großbritannien und Frankreich kennen beinahe alle Englisch- und
Französisch- Schüler. Ebenfalls sehr beliebt: Städtereisen in
europäische Metropolen.
Und neuerdings ans Meer: Nordsee, Adria, Cote d´Azur.
Ein Berufsschulklasse schoss den Vogel ab und reiste bis nach
Asien:11 Tage Bangkok
Liest sich wie im Reisebüro.
Ist die Schule inzwischen zu einem Reiseveranstalter verkommen,
der seinen armen Schülern ihr hartes Pennälerleben mit
abwechslungsreichen Pauschalreisen erträglich macht? Die heißen
zwar immer noch Bildungsreise, aber bei manchen Reisezielen muss
man sich schon sehr anstrengen, um einen Bildungsaspekt
aufzuspüren...
Weniger wäre vielleicht mehr.
Auch beim Reizthema Klassenreisen.
Gerade beim Thema Klassenreisen.
Da diese Fahrten ja unter dem Deckmantel des sozialen Lernens,
will heißen Fördern der Klassengemeinschaft und des Teamgeistes,
verkauft werden, wäre meiner Meinung nach ein mehrtägiger
Aufenthalt in einer Selbstversorgerhütte mit maximal zwei
Stunden Anfahrt genau das Richtige.
Die Schüler müssten Verantwortung übernehmen und sich
gegenseitig helfen.
Die Eltern müssten nicht horrende Summen berappen.
Die Lehrer wären als gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe um
einiges näher an ihren Schützlingen dran als in der Rolle des
besser wissenden Reiseleiters.
Und die Zahl der Klassenfahrten würde sich auf Wunsch der
Beteiligten hin wohl auch bald in Grenzen halten...
Bescheidener Arbeitstrip statt bequeme Luxusreisen.
Muss nicht automatisch weniger Spaß bedeuten.
Würde doch wirklich Sinn machen, oder?
Wenigstens mehr als der Südfrankreich-Aufenthalt dreier
Hauptschulkassen (stimmt tatsächlich!), die kein Wort
Französisch und nur einige mickrige Brocken Englisch
beherrschten, und daher auf die Sprachkenntnisse ihrer Lehrer
angewiesen waren.
Und am Ende unserer langjährigen Schulzeit, wenn wir es uns
auch wirklich verdient haben, ja, dann, dann machen wir eine
wirklich schöne Reise, unsere Abschlussfahrt. Und die heißt dann
auch so und erhebt keinerlei Bildungsanspruch mehr.
Wie lautet deine Meinung zum Thema?
Würde mich wirklich interessieren...
© 2000 Anja Gerstberger, Bilder: Copyright by
MacMillan Inc. und Corel Draw, verwendet in Lizenz
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