Dabei sein ist alles oder die Olympische Idee heute

Dominanz von Leistung und Kommerz
Die olympischen Grundsätze nach Coubertin
Der Olympische Gedanke im Alltag

Leistung über alles - Sieg des Kommerz

Gut 100 Jahre nach Pierre Coubertins "Wiederbelebung" der Olympischen Spiele in der Neuzeit ist von seiner Auffassung, die erzieherischen Ideale Olympias eine größere Bedeutung als den sportlichen Rekorden beizumessen, kaum etwas übrig geblieben.

Längst sind die Spiele zu einem gigantischen Medienspektakel geworden, bei denen es für alle Beteiligten immer auch um ein Reisengschäft geht. Sponsoren, Vermarkter, Rechteverwerter wollen eine gute Show, die Athleten wiederum bemühen sich um größtmögliche Aufmerksamkeit. Indem sie Topleistungen bringen, dramatische Auftritte hinlegen oder sich in schrillen Outfits präsentieren.

Nach dem Motto: Abgerechnet wird am Ende. Für die nationalen Verbände muss der Medaillenspiegel stimmen, daher werden auch nur "aussichtsreiche" Kandidaten mitgenommen. Die großen Sportartikelfirmen reißen sich um die Stars unter den Athleten, denn nur erstklassige Zugpferde werden ihre Investitionen auch wieder reinholen können. Die Sportler selbst wollen ihr errungenes Edelmetall mit einträglichen Werbeverträgen zusätzlich "vergolden". Wofür haben sie sich schließlich jahrelang geschunden? Darum sind sie auch nicht böse - was sie natürlich niemals vor laufender Kamera zugeben würden - , wenn ihr Land nicht allzu viele Medaillen gewinnt, denn das würde nur ihren Marktwert und damit ihre Einnahmen senken.

Leider ist der reine Leistungsgedanke inzwischen bis zu den Wettkämpfen selbst vorgedrungen. Wirklich "exotische" Athleten, deren Leistungen sich nicht deutlich von denen eines besseren Hobbysportlers unterscheiden, aber umso mehr von denen der Medaillenkandidaten bzw. "echten" Profis, sind heute kaum mehr zu bewundern. Weil sie den Ablauf behindern, die Wettkämpfe unnötig in die Länge ziehen, lediglich wertvolle Sendezeit kosten.

Schade eigentlich.


Welche olympischen Grundsätze für Coubertin wichtig waren

Beurteile während der nächsten Tage selbst, was von Coubertins Prinzipien heute noch umgesetzt wird:

1. Sporttreiben soll nicht nur reines Muskeltraining sein, sondern die gesamte Harmonie des Menschen fördern.

2. Indem der Mensch sich um sportliches Können bemüht, arbeitet er an sich selbst, an seiner Selbstvollendung, Selbstgestaltung.

3. Bei Olympia sollen nur Amateure mitmachen dürfen, um den Sport um seiner selbst zu ehren und nicht aus reiner Gewinnsucht.

4. Sportliche Grundsätze wie Fairness, das Einhalten vorgegebener Regeln und gefühlsmäßige Selbstbeherrschung sind einzuhalten.

5. Der Sport soll die Völkerverständigung, den Frieden und die Toleranz unter den Rassen und Nationen fördern.


Tja, im Sport ist es so wie in anderen Bereichen auch: je mehr materielle Interessen aufeinanderprallen, umso mehr geistige Ideale bleiben auf der Strecke...


Olympia ist immer und überall - auch in unserem Alltag!

Nee, nee. Wir wollen hier nicht nur motzen, sondern auch nach positiven Beispielen suchen. Solche, die Mut machen und zeigen, dass der Olympische Gedanke noch lebt. Ja, dass es an uns selbst liegt, ihn immer wieder in die Tat umzusetzen. Denn Olympia findet nicht nur alle vier Jahre für einige wenige auserlesene Topathleten statt, sondern täglich, überall, für jedermann. Was folgende Alltagsszenen eindeutig belegen:

• Obwohl sie nur acht Jungen in der Klasse haben und sich daher nicht dir Topsportler für ihre Mannschaft heraussuchen können, nimmt die 8 b trotzdem an der Schulmeisterschaft im Handball teil.

• Annika möchte einmal im Leben am 10-km-Volkslauf ihrer Stadt teilnehmen. Dafür übt sie monatelang. Ihr Einsatz hat sich gelohnt, denn sie kommt als strahlende 78. ins Ziel.

• Felix spielt einmal die Woche Squash mit seinem Kumpel Achim. Auch wenn er seit Jahren in der Mannschaft spielt und Achim blutiger Anfänger ist.

• Ralf hilft dem Sportlehrer beim Messen der Weitsprungleistungen für die diesjährigen Leichtathletiknoten. Als sein Freund Markus nicht so weit springt wie ihr Klassenkamerad Murat, wickelt er trotzdem nicht das Maßband um die Hand, um so dessen Leistung zu beschönigen.

• Ausgerechnet beim Satzball trifft Tanjas Gegnerin genau ins Eck. "War der Ball gut?", will sie wissen, denn von ihrer Platzseite aus konnte sie den Abdruck nicht sehen. Tanja zögert kurz, gibt den Ball dann aber gut und damit den Pubkt an ihre Gegnerin. Und der erste Satz ist weg.

• Als Birgit, das dickste Mädchen der Klasse beim 800 m-Laufmit hochrotem Kopf und heftig nach Luft schnappend ins Ziel kommt, lachen die anderen Mädchen sie nicht aus, sondern gratulieren ihr, dass sie durchgehalten hat.

• Daniel setzt bei der Bioprobe seinen Spicker nicht ein.

• Claudia schenkt ihren alten Tennisschläger ihrer Mitschülerin Emine, die den Sport gerne ausüben würde, aber von ihrem Eltern keinen Schläger bezahlt bekommt. Außerdem gibt sie ihr einige Trainerstunden und setzt bei ihrem Vereinsvorstand einen ermäßigten Beitrag für Emine durch.

• Beim gemeinsamen Volleyballspielen "schießen" die Jungen ihre Klassenkameradinnen nicht "ab", sondern spielen ihnen die Bälle so zu, dass sie eine Chance haben, ihn zurückzubekommen.

• Thorsten trägt seiner betagten Nachbarin die schweren Einkaufstaschen in den dritten Stock.

• Manuel lässt seinen kleinen Bruder beim Basketball mit seinen Freunden mitspielen.

• Nachdem Denise gegen Heike im Halbfinale ausgeschieden war, drückt sie ihr im Endspiel feste die Daumen.

Sind diese Geschichten allesamt Märchen?

Ich hoffe doch nicht...



© 2000 Anja Gerstberger