Chaos-Picknick am Muttertag

"Und wie wollen wir das hinkriegen mit so wenig Geld?", wollte Dennis von seiner großen Schwester wissen.

Muttertag stand vor der Tür und Saskia hatte ihm gerade ihre Idee für die Gestaltung dieses wichtigen Festtages unterbreitet. Die zwar ziemlich toll war, wie Dennis ehrlich eingestehen musste, sich aber recht teuer anhörte. Und vor ihnen lagen gerade mal läppische zehn Mark auf dem Tisch, die die Geschwister mit Mühe von ihrem restlichen Mai-Taschengeld zusammengekratzt hatten. Und das bereits am Zehnten des Monats!

"Gerade dieses Jahr muss es was ganz Besonderes sein!", beharrte Saskia auf ihren Vorschlag. "Wo Mutti etwas Ablenkung und Spaß so dringend braucht! Es ist gewissermaßen unsere Pflicht, für ihre Entspannung zu sorgen!" Mit ihrer extremen Betonung des Wörtes Pflicht und dem mitreißenden Tonfall kam sie Dennis wie eine Politikerin vor. Aber wie fast immer hatte Saskia auch diesmal Recht.

Die letzten Wochen waren ziemlich hart für die Familie gewesen, vor allem für ihre Mutter. Nach Papas schwerem Autounfall fuhr sie täglich in die mehr als 100 km entfernte Universitätsklinik, um ihn täglich zu besuchen. Trotz dieser Belastung vernachlässigte sie dabei den Haushalt und ihre Kinder nicht, sondern umsorgte sie mit jener selbstlosen Hingabe, für die sich Saskia und Dennis nun bei ihr bedanken wollten. Denn sie wussten nur zu gut, dass ihre aufrichtigen Unterstützungsversuche der letzten Wochen nur ein heißer Tropfen auf dem Stein waren. Umso mehr wollten sie ihre Mutter am Muttertag total verwöhnen. Zumindest vormittags, denn am Nachmittag war wieder Krankenbesuch angesagt.

"Wir kriegen das hin", erklärte Saskia weiter, "wir müssen uns eben mit den Dingen behelfen, die wir im Hause haben und den rest irgendwie organisieren."

"Und das Geld nehmen wir nur für das Wichtigste her, das wir allein nicht schaffen", nahm Dennis den Gedanken seiner vierzehnjährigen Schwester auf. "Nämlich das Gechenk!"

"Genau!" Saskia beugte sich eifrig über den Zettel, auf dem sie die zu erledigenden Arbeiten aufgelistet hatte und begann, die Tätigkeiten unter ihnen aufzuteilen.

"Meinst du, du schaffst das mit den Blumen hin?", fragte sie Dennis.

"Klaro, schließlich bin ich ja schon Elf und nicht blöde!"

Diesem überzeugenden Argument hatte Saskia nun wahrlich nichts entgegen zu setzen.

"4 Eier g.", las Saskia laut vor. Sie war in das uralte, bereits ziemlich zerfledderte Rezeptbuch ihrer Großmutter vertieft, in welchem diese die wohlgehüteten Familienrezpte handschriftlich eingetragen und nach ihrem Tode ihrer Tochter vermacht hatte.

Es war Samstagnachmittag, der samstag vor dem Muttertag. Saskia wollte Mutter mit ihrem Lieblingskuchen überraschen und hatte genau drei Stunden Zeit, ihr Vorhaben unbemerkt in die Tat umzusetzen und hinterher alle verräterischen Spuren zu verwischen. In drei Stunden würde Mutter von ihrem täglichen Krankenbesuch zurückkehren. Die ungestörte Zeit davor hatten Saskia und Dennis bereits mit den anderen Vorbereitungen für morgen verbracht. Jetzt fehlten nur noch der Kuchen und die Blumen. Wo Dennis seine kostenlose Blütenpracht aufzutreiben gedachte, hatte Saskia ihm nicht entlocken können. Nun gut, dann eben nicht. Hauptsache er würde es überhaupt schaffen.

"4 Eier g.", überlegte Saskia, "g steht bestimmt für ganz. Genau 4 ganze Eier!" War doch leicht! Wie sollte man darauf kommen, dass g für getrennt stand?

Wenige Minuten später die nächste Hürde. "250 g Mehl und 1 TL B." Was hieß denn das schon wieder? Saskia stöhnte. Warum hatte ihre Oma nicht alles ausschreiben können, so faul hatte sie ihre Großmutter gar nicht in Erinnerung. TL war klar, das stand für Teelöffel, aber B? Butter! B musste Butter heißen! Komisch Butter war doch schon drinnen? Saskia zuckte kurz mit den Schultern und macht weiter. Sie musste sich ranhalten, wenn sie alles rechtzeitig fertig kriegen wollte.

"Eigentlich wollten wir ja draußen ein Picknick veranstalten!", jammerte ein enntäuschter Dennis, aber es regnet in Strömen!"

"Darum haben wir es eben kurzerhand ins Wohnzimmer verlegt!", erklärte Saskia und strahlte ihre Mutter an. Die beiden standen an Mutters Bett, wo sie ihr das obligatorische Lied und Gedicht dargeboten hatten. Als lebende Wecker sozusagen, wie Dennis eifrig erklärt hatte. Dass sie durch den Radau, den ihre beiden Racker während der vergangenen Stunde veranstaltet hatten, längst wach war, band Mutter ihnen natürlich nicht auf die Nase. Das gehörte schließlich zum Muttersein dazu.

"Dann bin ich aber mal gespannt!", lachte Mutter stattdessen und zauberte einen erfreuten neugierigen Ausdruck in ihr Gesicht.

"Hier, nimm auf der Picknickdecke Platz!", forderte Dennis seine Mutter auf, die seiner Aufforderung etwas zögerlich nachkam.

Irgendwie fühlte sie sich nämlich unwohl dabei, sich auf ihren empfindlichen und kostbaren Satinbettbezügen niederzulassen, die ihre Kinder kurz entschlossen zur bunten "Picknickdecke" umfunktioniert haben. Auch versuchte sie nicht daran zu denken, welche Mühe sie mit dem Polieren des aufgedeckten Silberbestecks und dem Stärken der weißen Damastservietten haben würde, die als gerdade noch zu erkennender Bischofshüte gefaltet waren. Und für ihre Geburtstagsfeier nächsten Monat würde sie eben neue Kerzen für den Kandelaber besorgen. Was soll´s, die Kinder hatten es wirklich lieb gemeint und sich bei der dekoration mächtig ins Zeug gelegt. Den aufdringlichen Gestank der Räucherstäbchen würde sie mit ausgiebigem Lüften bald wieder aus der Wohnung vertrieben haben. Und Heintjes Gejaule im Hintergrund würde eine einmalige Angelegenheit bleiben, da Saskia die Platte von ihrer Tante Brigitte für heute geliehen hatte, wie Mutter dem Adressaufkleber auf der CD-Hülle hatte entnehmen können.

"Ist der Kaffee so in Ordnung?", erkundigte sich Saskia.

Dass ihre Tochter einen üblen "Blümchenkaffee" produziert hatte, war bereits an der äußerst blassen Farbe zu erkennen gewesen. "Es ist alles ganz prima!", versicherte Mutter, "besonders der frisch gepresste Orangensaft". Sprach´s und verschluckte sich an einem Kern. Den etwas zu dunkel geratenen Toast hatte sie mit viel Butter (die Freude über das herzförmige Butterstückchen wurde nur geringfügig von dem Gedanken getrübt, wie wohl der Rest der Butter in der Küche wohl aussehen würde) und dem gekochten Ei ganz gut hinunter bekommen. Da das Ei mindestens doppelt so lange wie gewöhnlich gekocht haben musste, war es so hart geworden, dass es sich mühelos in dünne Scheiben hatte schneiden lassen.

"Hast du schon die schönen Blumen gesehen?", lechzte Dennis bei seiner Mutter um Anerkennung. "Oh, ja, sie sind wirklich wunderschön!", lobte Mutter. Sie hatte diese prächtigen Blumen im Vorgarten von Frau Bergmann am Ende ihrer Straße schon immer bewundert.

"Hol mal das Prachtstück!", befahl Saskia nun und stieß Dennis ihren Ellenbogen in die Seite, der daraufhin eilig in Richtung Küche verschwand. Und kurz darauf mit größter Vorsicht die Muttertagstorte hereinbalancierte.

"Eine wirklich außergewöhnliches Torte!", staunte Mutter. Außergwöhnlich war in der Tat die treffende Bezeichnung für Saskias Meisterwerk. Da die Jung-Bäckerin das Sahnesteif vergessen hatte, lief die Sahne bereits nach allen Richtungn davon und das aus Smarties gebildete Wort "Mama" war mehr zu erahnen las zu lesen. Dass sich der Biskuitboden wegen der nicht getrennten Eier nur unter größter Anstrengung durchschneiden ließ, war da nur mehr eine unwichtige Nebensächlichkeit.

"Und damit du den heutigen Tag auch so richtig genießen kannst, haben wir dir auch die Hausarbeit bereits erledigt!", verkündete Dennis mit stolzer Stimme.

"Welche Hausarbeit denn?", fragte Mutter, der nichts Gutes schwante.

"Na, die Wäsche!", erklärte Saskia. "Ich habe die komplette Schmutzwäsche in de Maschine!" Sie blickte kurz auf die Uhr. "Die müsste jetzt eigntlich jeden Moment fertig sein!"

Und in entzückendem Einheitsrosa aus der Trommel kommen, befürchtete Mutter, die sich nur zu gut daran erinnern konnte, erst gestern ihren auberginefarbenen Wollpullover zum Stapel mit der Handwäsche gelegt zu haben. Nun gut, die Geschirrtücher waren nicht so wild, dachte sie, aber Papa wird von seinem quietschrosa Pyjama hellauf begeistert sein...

"Einen Muttertag mit so vielen gelungenen Überraschungen habe ich noch nie erlebt!", erzählte Mutter zwei Stunden später ihrem Mann an dessen Krankenhausbett.

Und das war noch nicht mal gelogen...

© 2000 Anja Gerstberger